Dorfpolizist aus Leidenschaft
Rehburg-Loccums Polizeistation ist wieder zuverlässig besetzt.
Rehburg-Loccums Polizeistation ist wieder zuverlässig besetzt. Nachdem im vergangenen Jahr die Beamten aus der Dienststelle in der alten Schule Rehburgs weitestgehend nach Stolzenau abgezogen wurden und vermehrt Rund-um-die-Uhr-Dienste im Südkreis Nienburgs übernahmen, ist nun mit Jens Blümel einer, der den Menschen in der Stadt seit Jahrzehnten bekannt ist, als Ansprechpartner für alle Fälle wieder dorthin gekommen.
Es war wohl ein Versprecher. Als Rehburg-Loccums Bürgermeister Martin Franke beim Empfang zur Wirtschaftsschau seine Gäste begrüßte, titulierte er Jens Blümel als „Chef-Polizisten im Ort“. Haupt-Kommissar Blümel nahm das gelassen und mit einem freundlichen Schmunzeln hin. Ein Körnchen Wahrheit steckte schließlich in dieser Bezeichnung.
Der Chef sei er zwar nicht, meinte Blümel wenig später. Wenn es aber um das „im Ort“ gehe, dann stehe er voll dahinter. Schließlich sei er schon seit rund 34 Jahren auf der Wache in Rehburg stationiert. Fast ein ganzes Berufsleben lang. Wenn er deshalb der „Dorf-Polizist“ genannt werde, dann sei das völlig in Ordnung. Schließlich, verrät er, habe das Familien-Tradition: Dorf-Schutzmann sei schon sein Großvater Bernhard Blümel gewesen – zwar nicht in Rehburg, sondern in Otternhagen. Aber wie das mit der Polizei im Dorf sei, das habe er als Kind schon sehr genau kennen und schätzen gelernt.
Im Dachgeschoss des Hauses in Otternhagen lebte Familie Blümel, im Erdgeschoss war die Polizei-Station. Deren einziger Beamter war Bernhard Blümel – in den 1950er Jahren hatte er seinen Dienst dort aufgenommen, zunächst mit einem Dienstfahrrad, später mit eigenem Dienstfahrzeug: einer Isetta, selbstverständlich mit Blaulicht.
(Archiv Jens Blümel)
An die Fahrten, die er in dem Zweisitzer mitmachen durfte, kann sich Jens Blümel noch gut erinnern. Und daran, dass sein Opa respektiert wurde im Dorf. Bürgermeister, Arzt, Lehrer und Polizist – das waren diejenigen, auf die alle hörten. Das sei heutzutage manchmal anders, sagt er. Obwohl sich auch ansonsten am Berufsbild so manches geändert habe. So wie damals bei Bernhard Blümel, der bei jedem Fest im Dorf dabei sein musste, sei es heute nicht mehr. Manchmal habe die Isetta dann vor den Häusern stehen bleiben müssen, wenn gefeiert worden war. Das war nicht unrühmlich für den Dorf-Polizisten und tat dem Respekt an seiner Person keinen Abbruch. Vor Streichen war aber auch Bernhard Blümel nicht gefeit. Einmal, erzählt sein Enkel, soll die Isetta plötzlich mit der Schnauze vor einer Hauswand gestanden haben. „Vier Jungs, vier Ecken – schwer ist eine Isetta schließlich nicht“, sagt Blümel. Leicht peinlich war es für seinen Großvater, denn so konnte er nicht mehr einsteigen. Die Tür ließ sich schließlich nur nach vorne öffnen.
Mit dem Fahrzeug, das heute vor der Tür in Rehburg steht, kann solches so schnell nicht passieren, und obwohl die Isetta einen bleibenden Eindruck bei Jens Blümel hinterlassen hat, ist er doch froh, sie nicht fahren zu müssen. So, wie er andere Neuerungen auch begrüßt. Mit dem Stempelkasten des Opas, in dem es von winzigen Verkehrsschildern, Fahrzeugen und Menschen nur so wimmelte, hat er als Kind zwar viele Stunden auf der Wache verbracht und sich Bilder gestempelt. Am Computer einen Unfallhergang bildlich darzustellen ist aber doch um einiges einfacher. Allerdings ist dort in Rehburg immer noch solch ein Kasten vorhanden – unbenutzt in einem Schrank seit langer Zeit, aber eben doch viel zu schade, um ihn wegzuwerfen.
Nicht nur sein Großvater, sondern auch Blümels Vater hatte den Beruf des Polizisten gewählt, und damit stand sein Berufswunsch für ihn ziemlich schnell fest. 1977 begann er in Hannoversch Münden mit der Ausbildung, ging zunächst nach Hannover, dann nach Nienburg – und wollte bald irgendwohin aufs Dorf wechseln. Nah an den Menschen sein in einem ländlichen Umfeld, das war sein Ziel. In Rehburg wurde eine Stelle frei, er bewarb sich und wurde genommen. 1984 war das.
In Rehburg, sagt er, habe sich danach das Gerücht verbreitet, er sei strafversetzt worden. Wer wollte schon dorthin, aufs platte Land? Was andere jedoch als Strafversetzung empfunden hätten, macht Jens Blümel aber nun schon seit 34 Jahren und sehr gerne: Dorf-Polizist sein. Dass er die Menschen in der Stadt kennt und weiß, wer mit wem, weshalb und wieso… - das mache seine Arbeit für alle oft leichter. Er weiß, wie er mit wem umgehen muss, kennt Vorgeschichten, Zusammenhänge und „seine Pappenheimer“, hat mit vielen dieses oder jenes bereits gemeinsam erlebt.
Ein Dorf-Erlebnis, das Jahrzehnte später noch nachwirkt, erzählt er immer wieder gerne. 25 Jahre sei es wohl her, sagt er, als er mit einem Kollegen nachts Streife fuhr. Als sie gerade auf den Parkplatz der Rehburger Station einbiegen wollten, sah er an einer Telefonzelle einen kleinen Jungen stehen. Stockdunkel sei es gewesen, der Kleine drei oder vier Jahre alt und im Schlafanzug. „Blauer Frottee“, erinnert sich Blümel. Auf der Wache, wohin sie das Kind mitnahmen, habe er stundenlang versucht, es dazu zu bringen, seinen Namen zu sagen. Irgendwann rückte der Kleine damit heraus und sie konnten seine Eltern benachrichtigen.
Wie sich herausstellte, war er mitten in der Nacht ausgebüxt, hatte rund einen Kilometer Fußweg hinter sich gebracht – und fand dann nicht zurück. Die glücklichen Eltern bekamen ihr noch gar nicht vermisstes Kind zurück. Und Jahre später, sagt Blümel, habe er eine Einladung zur Hochzeit des nun gar nicht mehr so kleinen Jungen bekommen. Von der Mutter des Jungen werde er noch heute als dessen Retter tituliert, fügt er lächelnd hinzu.
Dass Dorf-Polizisten nicht nur nach solchen Rettungsaktionen ähnliches Ansehen haben, wie zu Zeiten seines Großvaters, haben Blümel und seine Kollegen im vergangenen Jahr erfahren, als fraglich war, ob die Wache in Rehburg noch lange bestehen werde. Aus Rat, Verwaltung und Bürgerschaft gab es allerhand Protest gegen diese Pläne. Die Polizei sollte im Ort bleiben – das wollten alle. In den Monaten darauf war sie dennoch nur sporadisch besetzt, ohne die gewohnte Verlässlichkeit. Das hat sich aber nun zum 1. April wieder geändert.
Der Leiter der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, Frank Kreykenbohm, reagierte damals auf die Diskussion und stellte klar, keine Schließung in Rehburg-Loccum vornehmen zu wollen. Vom Leiter des Kommissariats Stolzenau, Frank Münch, ist die Situation des Polizeikommissariats Stolzenau mit den Stationen in Rehburg und Uchte seitdem bewertet worden – und führte nun zu der Anpassung der Dienstplanung. "Unser Ziel ist es, einen festen Ansprechpartner in den Polizeistationen Rehburg-Loccum und Uchte vorzuhalten", betont Münch.
Jens Blümel freut sich über diese Entscheidung. Noch drei Jahre und den Rest von diesem Jahr – bis zu seiner Pensionierung – will er gerne in Rehburg der Dorf-Polizist sein.
Mai 2019
Text und Fotos soweit nicht anders vermerkt: ade