Vom großen Glück mit diesem Kind
Kann es ein großes Glück sein mit einem Kind, das mit Down Syndrom auf die Welt gekommen ist? Das Rehburger Ehepaar Magdalene und Andreas Jonik sieht das so – und erzählt von seinem ersten Jahr mit seinem kleinen Sohn Simon.
Simon dreht sich. Mal rechts herum, mal links herum. Es kommt ganz darauf an, wo etwas Spannendes auf dem Boden herumliegt, was er gerne genauer anschauen, betasten, schütteln oder auch schmecken will. Da liegt diese bunt glitzernde Dose. Auf sie kullert er zu, hat sie nach zwei Drehungen erreicht und greift sie sich zufrieden.
„Das machst du wirklich prima“, sagt Magdalene Jonik und strahlt ihren Sohn an. Ein breites Lächeln erscheint auch auf Simons Gesicht. Dieses Lächeln hat wohl etwas damit zu tun, dass sein Kosename „Strahlemann“ ist. „So ein zufriedenes und freundliches Kind“, sagt Jonik. Damit habe sie wirklich Glück gehabt. Wenn sie dann noch erzählt, dass sie in den meisten Nächten ruhig durchschlafen kann, dass der kleine Simon sich erst am Morgen meldet und zu seinem Recht kommen will – dann schauen viele andere Eltern sie angesichts eigener durchwachter Nächte leicht neidisch an.
Das große Glück, dieses Kind zu haben, davon erzählt Magdalene Jonik oft. Allerdings auch davon, dass in den ersten Tagen nach Simons Geburt dieses Glück schwer erarbeitet werden musste.
40 Jahre alt war sie, als sie zum dritten Mal schwanger wurde. Ein Wunschkind für sie und ihren Mann Andreas Jonik kuschelte sich dort in ihren Bauch. Die Schwangerschaft verlief problemlos, alle notwendigen Untersuchungen wurden gemacht. Mutter und Kind gehe es gut, war stets die Aussage. Auch die Geburt verlief normal. Als Magdalene Jonik aber tags darauf ihr Kind genauer anschaute, wurde sie stutzig. Diese Augenform - die erinnerte sie an Kinder mit Down Syndrom. Sollte etwa ihr Simon…? Das konnte aber nicht sein. Darauf hatte doch nichts hingedeutet.
Wenig später wusste sie, dass es doch sein konnte. Was sie vermutet hatte, bestätigte ihr eine Kinderärztin: Ihr Baby war mit dem Down Syndrom zur Welt gekommen.
In diesem Moment, sagt Magdalene Jonik, blieb ihr die Luft weg, drehte sich alles, war sie einer Ohnmacht nahe. Was sollte sie nur ihrem Mann sagen? Ihm, mit dem sie noch nicht lange verheiratet und für den es das erste eigene Kind war? Wo ihnen beiden doch von Anfang an klar gewesen war, dass sie nur dieses eine gemeinsame Kind haben würden!
„Die Männer sind oft das Problem“, sagt Kerstin Dinter. Die Kinderkrankenschwester bietet in Bad Rehburg FEP-Kurse an. FEP steht für „Frühkindliches-Entwicklungsförderungs-Programm“. Das machen Simon und seine Mutter seit einiger Zeit mit. Kinder unter einem Jahr in ihrer Entwicklung, Motorik und Sprache sanft unterstützen und mit den Eltern über alle Fragen rund um ihre Kinder in der Gruppe zu sprechen, ist der Ansatz des Programms – für alle Kinder, ob mit oder ohne Down Syndrom. Dort kullert Simon sich im Kreis der anderen zu den Spielsachen, die er erreichen möchte, und erklärt Dinter, wie er Unterstützung bekommen kann, damit er krabbeln lernt. Währenddessen reden die Mütter über Auffälligkeiten, Wehwehchen ihrer Kinder, aber auch über deren Fortschritte. Alle hocken auf dem Boden, beobachten die Kinder und kommen auf allerhand Themen. Wie etwa die Männer, die sich nach Dinters Erfahrung oft nicht so leicht damit abfinden können, wenn ihnen ein Kind mit Down Syndrom geboren wird.
Diese Erfahrung musste Magdalene Jonik nicht machen. Natürlich war es auch eine Schrecksekunde für ihren Mann, als er vom Down Syndrom seines Kindes erfuhr. Aber er ist der Prototyp eines stolzen Papas: Schaut oft ins Kinderbett, ob der Kleine nicht endlich wach geworden ist, damit er ihn zeigen kann. Als es endlich soweit ist, hält er ihn hoch, spielt und schmust mit ihm und erzählt davon, wie schön es ist, wenn solch ein kleines Wesen sich zwischen den Eltern sonntags noch eine Weile ins Bett kuschelt. Nur Simon mit Bananen zu füttern, ist für ihn ein Problem. Der Kleine liebt die weiche Frucht – Andreas Jonik kann Bananen nicht ausstehen. Aber was tut man nicht alles für sein Kind…
Viel Liebe bekommt Simon – von seinen Eltern, Großeltern, den beiden Schwestern, die schon im Teenager-Alter sind. Alle wollen sie ihm helfen, gut durchs Leben zu kommen - trotz und wegen des Down Syndroms und mit dem Ziel, ihn rundum akzeptiert zu wissen, auch wenn er ein wenig anders ist. Aber sind nicht alle irgendwie anders?
Zum Stichwort Akzeptanz und Berührungsängste hatte Andreas Jonik ein Schlüsselerlebnis als Simon einige Monate alt war. Das mit ihrem Baby mit Down Syndrom hatte sich in ihrem Wohnort Rehburg mittlerweile herumgesprochen, auch weil Magdalene und Andreas Jonik von Anfang an offen davon erzählten und Simon überall hin mitnahmen. Auch zum Rehburger Schützenfest, wo sie natürlich vielen Bekannten begegneten.
Irgendwann, sagt Andreas Jonik, habe dort auf dem Festplatz ein Freund zu ihm gesagt, dass er sich nicht traue, in den Kinderwagen zu schauen. Das, sagt Jonik, sei ein besonderer Moment gewesen: Dieses Eingeständnis des Freundes, der nicht wusste, wie er reagieren würde angesichts des Kindes mit Down Syndrom. Sollte er den Eltern zu ihrem Kind gratulieren? Oder sie bedauern? „Weißt du was, wir schauen gemeinsam in den Kinderwagen“, sagte Andreas Jonik. Das Lächeln des stolzen Vaters, das Lächeln des Babys – danach war die Scheu des Freundes gebrochen und seitdem kann er Simon unbefangen ansehen. Auf diese Art, sagt das Ehepaar, gehe es Tag für Tag auf die Menschen zu.
Wenn Magdalene Jonik von ihrem großen Glück erzählt, dieses Kind zu haben, dann sieht sie aber selbstverständlich auch die vielen dunklen Seiten. Mit einem Herzfehler ist Simon auf die Welt gekommen – eine typische Nebenerscheinung des Down Syndroms. Um das zu operieren, wird er ins Krankenhaus müssen. Das Kümmern um Simon ist intensiver als bei anderen Kindern – viel mehr Förderung hat er nötig, damit er eines Tages alleine leben kann. Lernt er laufen? Sprechen? Wird er lesen lernen? Seinen Lebensunterhalt verdienen können? Was andere Eltern gar nicht hinterfragen, sind bei Familie Jonik Themen, die zum Alltag gehören und an denen Stück für Stück schon jetzt gearbeitet wird.
Und manchmal kommt auch die Frage auf, was Simons Eltern getan hätten, wenn sie von dem Down Syndrom viel früher erfahren hätten – damals, als Magdalene Jonik noch schwanger war. Die Antwort darauf können sie beide nicht geben und sind eher froh, dass sie nie vor diese Entscheidung gestellt wurden. Nach ihrem ersten Jahr mit Simon möchten sie beide aber eines tun: Werdenden Eltern Mut machen, sich auch dann für ihr Kind zu entscheiden, wenn es das Down Syndrom hat, und die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Auch wenn manches schwieriger sei, sagen sie, würde das Glück doch überwiegen.
Juli 2018
Text und Fotos: ade