Die Speise der Götter
Eine gewisse Leidenschaft gehört dazu – und die bringt Achim Kapelle mit, wenn er Gästen auf seinem „Landsitz Kapellenhöhe“ von der Speise der Götter erzählt und sie ihre eigenen Kreationen derer schaffen lässt.
Schokolade ist sein Thema – oder vielmehr Chocolade, wie er die verführerische Süßigkeit nach alter Tradition nennt.
Hoch oben auf einer Anhöhe des kleinen Ortes Wiedenbrügge thront der Landsitz Kapellenhöhe förmlich über der Landschaft. Fragen danach, wo denn nun hier die Kapelle sei – der Ort eignet sich schließlich ausgezeichnet für solch einen geistlichen Bau – hört Achim Kapelle häufig. Und hat sie schnell mit Verweis auf seinen Nachnamen beantwortet. Seit 2006 führen er und seine Zwillingsschwester Tanja das kleine Hotel mit Restaurant. Einige Jahre zuvor hatten sie bereits ein Haus in Steinhude eröffnet. Genau dort, in Steinhude, ließen die Geschwister die alte Steinhuder Tradition der Chocoladen-Manufaktur wiederaufleben – und führten sie schließlich an weitere Orte: zunächst auf die Kapellenhöhe, einige Jahre später auch in ihre Restauration „Welfenhof“ in Bad Rehburg.
Was aber hat Steinhude mit Schokolade zu tun? Davon hat Kapelle so einiges zu berichten. Die erste Schokoladenmanufaktur in Deutschland, erzählt er, sei um 1730 genau dort von Johann Henrich Schwabe eröffnet worden. Schwabe muss ein angesehener Bürger gewesen sein, ansonsten hätte er es kaum zum Bürgermeister Steinhudes gebracht. Ein Visionär war er wohl ebenso – denn um 1730 war Chocolade noch keinesfalls in aller Munde und wurde bis dahin auch nur in flüssiger Form genossen. Was Schwabe ersann, sollte den Genuss revolutionieren. Die manchmal etwas aufwändige Art der Zubereitung von flüssiger Schokolade wollte er nämlich vereinfachen beziehungsweise eine Portionierung einführen. Er nahm die dunkle Masse und presste sie in Talerform.
Jeder Taler war genau die Menge, die benötigt wurde, um eine Tasse des Getränks herzustellen. Der „Steinhuder Chocolatentaler“ war geboren – und machte den Übergang von der Trinkschokolade zum heute üblichen Verzehr in fester Form möglich. Mit einigen Unterbrechungen wurde somit von 1730 bis 1951 in Steinhude Chocoladen-Geschichte geschrieben. Der Fortschreibung der Geschichte nahmen sich 50 Jahre später die Geschwister Kapelle an.
Kleine Taler, in Goldfolie eingewickelt, hat Achim Kapelle auch parat, wenn er wahlweise zum Chocoladen-Frühstück oder in die Chocoladen-Manufaktur auf der Kapellenhöhe oder im Welfenhof einlädt. Anschaulich wird es mit dem kleinen runden Ding, so schön lässt sich anhand dessen der Siegeszug beschreiben, den der Steinhuder Schwabe antreten konnte.
Was für Kapelle dann aber auch dazu gehört, ist die weitaus weiter zurückliegende Geschichte der Chocolade und von den Sagen und Legenden, die sich darum ranken. „Speise der Götter“ wird sie genannt – was auf den wissenschaftlichen Begriff „Theobroma cacao L.“ geht. Die Übersetzung für Theobrama ist „Speise der Götter“. Das wiederum ist darauf zurückzuführen, dass die Maya die Kakaopflanze für göttlichen Ursprungs hielten. Bei den Azteken wurde der Kakaotrunk in erster Linie Kriegern, Priestern und solchen, die als Opfer dienen sollten, vorgesetzt. Beileibe nicht jeder kam damals in solch einen Genuss und manche brachten ihren Reichtum dadurch zum Ausdruck, dass sie Kakao tranken. Vom Azteken-König Montezuma berichtete der Konquistador Hernán Cortés, er habe täglich große Mengen – von 50 Tassen war die Rede – davon getrunken. So wundert es auch nicht, dass Kakao in manchen Kulturen zeitweilig als Zahlungsmittel galt. Dem „Steinhuder Chocoladentaler“ mag also durchaus eine gewisse Doppeldeutigkeit nachgesagt werden.
Während Kapelle all diese Geschichten erzählt, zeigt er allerhand vor. Kakaofrüchte, Kakaobohnen, Kakaopulver. An Gläsern mit dem Pulver lässt er seine Gäste schnuppern. Das reine, unversetzte Pulver macht den Namen „Schokolade“ deutlich. Dessen Ursprung liegt nämlich im aztekischen Xocolatl – was soviel bedeutet, wie „bitteres Wasser“. In dieser Form – als herbes, bitteres, säuerliches Wasser – sei es zu Montezumas Zeiten gereicht worden und so habe es auch Cortés an den spanischen Hof. Ihre Leidenschaft für das neuartige Getränk, sagt Kapelle, hätten König und Hofstaat aber erst entwickelt, als Honig und Rohrzucker zugegeben wurden. Womit der Siegeszug der Schokolade in Europa begann.
Jahrhunderte später, als Johann Henrich Schwabe seine Chocoladen in Handarbeit in Steinhude anfertigte, war es längst selbstverständlich, dass die Kakaomasse mit weiteren Ingredienzien angereichert wurde, um den typischen süßen Geschmack zu bekommen. Und das bescherte seinem Nachfolger 1763 den Titel des Hoflieferanten des Schaumburg-Lippischen Fürstenhauses. Zum Hoflieferanten des Fürsten in Bückeburg hat es Kapelle zwar nicht gebracht – „Werden solche Titel überhaupt noch verliehen? – aber immerhin beliefert er das Schloss dort mit seinen Kreationen.
Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die mehr als 50 Kreationen, die er mittlerweile anbietet, so manche adelige Namen tragen. Die „Graf-Wilhelm-Chocolade“ etwa, nach einem Vorfahren des Fürsten benannt. Während die „Königin Luise“ mit Sahnevollmilch und Himbeer-Pfeffer auftrumpft, verführt die „Süße Friederike“ mit Mandel-Bourbon-Vanille und edel wird es bei der nach dem wohl berühmtesten Dichter der Romantik benannten Novalis-Chocolade. Sie ist mit Blattgold versetzt.
Was aber bietet Kapelle nun an, wenn er in seine Chocoladen-Manufaktur einlädt? Zum Chocoladen-Frühstück oder -ChocoladenVerkostung können Gruppen kommen und auch Kindergeburtstage lassen sich mit Chocolade versüßen. Was neben Kapelles Erzählungen in trauter Runde und im stilvollen Ambiente von Kapellenhöhe oder Welfenhof angeboten wird, ist immer die Herstellung einer eigenen Chocolade. Die sanft erwärmte Schokoladen-Masse rührt Kapelle innig während er erzählt – und kommt dann an den Punkt, an dem jeder sich eine eigene Gießform nehmen, die Masse einfüllen und anschließend nach Lust und Laune mit Dingen aus der Chocoladen-Zutatenbar bestreuen kann. Was dort in kleinen Schüsselchen bereit steht, reicht von zuckrigen Herzen bis zu Rosenblättern, von süß über salzig bis zu scharf. Der Vielfalt sind kaum Grenzen gesetzt und nach einer Trocknungszeit von rund 20 Minuten, können die Gäste ihre eigene handgeschöpfte Tafel mitnehmen – oder sie gleich vor Ort verzehren.
Ganz ähnlich sieht auch die Produktion in der Kapellenhöhe aus. Form für Form wird dort von Hand befüllt, leicht gerüttelt, zum Trocknen beiseitegestellt und anschließend verpackt. Die Täfelchen, die dann entstanden sind, haben schon manchem angesehenen Gast gemundet. Nicht zuletzt der Dalai Lama bekam von Achim Kapelle eine Tafel mit einer Kreation, die nur zu dessen Besuch in Steinhude entwickelt worden war. Den Reinerlös aus jener Kreation spendeten die Zwillinge dem Kinderhilfsprojekt „Open your life“. Und wem es gefällt, der kann sich auf der Kapellenhöhe auch eine eigene Chocolade kreieren lassen. Womöglich als Geschenk zur Hochzeit mit individueller Banderole und mit einem Inhalt, der den Geschmäckern der Brautleute wie auf den Leib geschrieben ist? Die Möglichkeiten, sagt Achim Kapelle, sind nahezu unendlich. Und die Tradition der Steinhuder Chocoladen-Manufaktur kann er so am Leben erhalten.
Oktober 2018
Text und Fotos: ade