Fünf Kilometer unter Tage
Dörpverein forscht zu Münchehagens Bergbau-Historie
„Auch lockte uns der Schacht eines im Walde liegenden, verlassenen Bergwerks, auf dessen schlüpfrigen Holzleitern wir bis zur Sohle hinabstiegen, um bei Kerzenlicht die von Wasser triefenden Stollen entlangzuwandern. Um den Weg nicht zu verlieren, tasteten wir uns an einer Schnur durch das Labyrinth der Gänge.“
Fünf Meter geht es in den Stollen nahe Berghol hinein – danach ist er verschüttet.
Friedrich Georg Jünger schrieb diese Zeilen in seinem Buch „Grüne Zweige“ – eine von vielen Erinnerungen an die Kindheit, die er gemeinsam mit seinem Bruder, dem bekannten Schriftsteller Ernst Jünger, in Rehburg verbrachte. Der Faszination dieser Welt unter Tage waren die beiden Jungen um 1910 erlegen – und schon damals waren es stillgelegte Stollen, die sie mit leichtem Gruseln erkundeten. In erster Linie war es das benachbarte Münchehagen, in dem Bergbau betrieben wurde – und dort versucht eine Sparte des Mönkehäger Dörpvereins, die eine Chronik zusammenstellen will, dem Bergbau in ihrem Dorf auf den Grund zu gehen.
Oskar Sontag, Jahrgang 1940, kann sich noch an so manches erinnern. Obwohl der Kohleabbau in Münchehagen zum Zeitpunkt seiner Geburt eigentlich schon passé war. Dass er im Erlengrund steht, wo mittlerweile Campingplatz und Restaurant sind, und die alten Zeiten des Bergbaus an jener Stelle auferstehen lässt, hängt damit zusammen, dass er dort aufgewachsen ist und sein Pflegevater der letzte Besitzer der Anlagen war, die den Münchehägern über lange Zeiten zwar nicht unbedingt zu Wohlstand, aber doch zu einem Auskommen verhalfen. Alte Karten hat Sontag im Gepäck, kann akribisch erklären, wo Einstiegsschächte waren, wie tief es hinunterging, wo die Stollen verliefen und wann sie jeweils gegraben wurden. Am Erlengrund beispielsweise war der tiefste der Schächte Münchehagens. Rund 160 Meter weit ging es dort hinab. Der Chronik-Sparte des Dörpvereins ist Sontag mit diesem Wissen eine unersetzliche Hilfe für die Aufarbeitung der doch so prägenden Zeit, in der Bergbau ein wichtiges Element im Ort war. Sontag selbst hingegen ist die Aufarbeitung derart wichtig, dass er mal eben aus seiner jetzigen Heimat Lüneburg an einem Sonntagvormittag nach Münchehagen fährt, um einen Spaziergang mit einigen zu machen, die an der Chronik arbeiten.
Nahe dem schaumburgischen Berghol ist dieser Stollen-Eingang noch vorhanden, auf dem Mitglieder der Chronik-Sparte posieren. Vorne links Oskar Sontag.
Der zweite Fachmann in der Gruppe ist Rolf Wesemann. Bergbau hat er studiert, wohnt außerdem in Münchehagen und ist von daher prädestiniert dafür, technische Auskünfte zu geben. Dass er auch noch geschichtlich interessiert ist, kommt der Sache der Chronik-Sparte rund um deren Leiterin Christiane Kruse nur zugute.
Gemeinsam führen die beiden Männer zunächst zum Stolleneingang nahe dem Erlengrund. Zwei hölzerne Platten liegen über einem Loch, aus dem Wasser plätschert und sich als Bach einen schmalen Weg durch den Wald sucht. Schwer vorstellbar ist es, dass dort Bergleute einstiegen in ein dunkles Loch, aber Wesemann erläutert, dass die Rinne für das Wasser damals viel tiefer war. So konnte das Wasser aus dem Berg ablaufen und für die Kumpels war Platz und Luft, um einsteigen zu können. Beides – sowohl Platz als auch Luft - war allerdings nur sehr begrenzt vorhanden. Maximal 1,50 Meter hoch waren die Stollen. Reichte das, um gebückt gehen zu können, so waren viele andere Stollen so niedrig, dass nur im Liegen gearbeitet werden konnte. Bei einer Temperatur von konstant 8 bis 12 Grad Celsius und dem abfließenden Wasser immer um die Füße, wie Wesemann erklärt. „Darum sind viele der Bergleute auch nicht alt geworden“, ergänzt Sontag.
Münchehagens Gästeführer lassen Besucher bei ihren Touren durch ein Holzgestell klettern – um ihnen ein Gefühl dafür zu geben, wie niedrig viele der Stollen damals waren.
Nicht weit von dem Einstiegsloch mit Bach entfernt, nahe dem schaumburgischen Berghol, ist der Eingang eines Luftstollens wesentlich besser erhalten. Mannshöhe hat der Eingangsbereich, der Weg führt steil bergab in den Hang hinein – und endet nach rund fünf Metern. Aus Sicherheitsgründen sei der Zugang verschüttet worden – gesprengt – erzählen die Männer. Vor Jahrzehnten schon. Dieser Schacht sei es in erster Linie gewesen, aus dem zum Ende des Zweiten Weltkrieges und kurz danach die Familien aus der Umgebung sich Kohle holten. Ein ungefährliches Unterfangen war es nicht, denn schließlich war der Steinkohleabbau in der Gegend bereits in den 1920er Jahren eingestellt worden. Die Not trieb die Menschen aber dorthin und wenn der Stollen auch nicht mehr rentabel genug für den Abbau war, so reichte es doch, um manches Haus warm zu halten.
Kaum vorstellbar, dass an dieser Stelle einmal ein Stollen begann, der fünf Kilometer unter Tage führte.
Wann der Kohle-Abbau in der Gegend um Münchehagen begann, das ist bis heute nicht wirklich geklärt. Der älteste Stollen soll aber jener sein, der den Namen Georg-Stollen trägt und mit dessen Bau 1751 in den Rehburger Bergen nahe der Heimvolkshochschule begonnen wurde. Nah dabei fingen die Bergleute um 1791 damit an, den Kloster-Stollen zu graben, der rund 100 Jahre später – 1883 – beim Emilien-Schacht auf dem jetzigen Gelände des Dino-Parks endete. Rund 100 Jahre, um einen fünf Kilometer langen Gang zu graben und sich der Kohle dort zu bemächtigen.
Der Eingang des Kloster-Stollens ist noch vorhanden, als solcher aber nicht mehr zu erkennen. Im Wald hinter der Heimvolkshochschule plätschert ebenso wie beim Erlengrund ein Bächlein. Malerisch ist es dort, mit einer winzigen Brücke über diesen Bach mit seinem kristallklaren Wasser – das aus einem schmalen Loch fließt. Diese kleine Öffnung war einmal der Eingang zu dem langen Stollen.
Romantisch mutet der kleine Bach hinter Loccums Heimvolkshochschule an – wenige Meter davon entfernt war einmal der Eingang zu dem fünf Kilometer langen Kloster-Stollen.
Nicht wesentlich offensichtlicher aber zumindest in Münchehagen wesentlich bekannter ist der Maximilian-Schacht. Gegenüber dem Freibad erhebt sich ein Hügel. Wer ihn umrundet, dann heraufklettert – dort, wo viele Münchehäger als Kinder halsbrecherische Rodel-Abfahrten ausprobiert haben – kommt an eine Beton-Platte mit einem rund zehn Zentimeter großen Loch. Direkt darunter befindet sich der Schacht. Wer einen Stein hineinfallen lässt und auf das Platschen beim Aufprall auf das Wasser wartet, bekommt eine vage Vorstellung von der Tiefe, in die die Bergleute dort einmal einstiegen – um die 60 Meter. Münchehagens Gästeführer machen sich einen Spaß daraus, Gruppen dorthin zu führen und ihnen mit einem Lot die Tiefe zu demonstrieren. An anderer Stelle haben sie ein Gestell aufgebaut, durch das Besucher kraxeln können – so wollen sie ihnen klar machen, wie niedrig die Stollen waren, in denen die Bergleute weitaus mehr als nur Schichten zu acht Stunden verbringen mussten.
Auf einem Hügel gegenüber dem Freibad war der Maximilian-Schacht. Gästeführerin Minchen (Sigrid Bulmahn) lässt zur Demonstration der Tiefe ein Lot herab.
Dem Kohlebergbau in den Rehburger Bergen soll das benachbarte Bad Rehburg seinen einstmaligen Status als Kurort verdanken. Ein Einstieg ist auf dem Gelände der Teefabrik Hiller noch vorhanden. Beim Graben nach Kohle kam eine Quelle zutage – deren Wasser dann heilende Wirkung zugeschrieben wurde und die so manches Mitglied der hannoverschen Königsfamilie gerne nutzte. Die Quelle versiegte, mittlerweile plätschert dort nur noch Regenwasser vom Berg und auch dieser Stollen ist nicht öffentlich zugängig – so interessant der Abstieg in die Unterwelt auch sein mag.
Ursprünglich für den Kohleabbau gegraben verhalf dieser Stollen auf dem Gelände der Teefabrik Hiller in Bad Rehburg dem Ort zu seinem Kur-Status – als sich dort plötzlich eine Quelle ergoss.
Direkt heran führt Rolf Wesemann die kleine Gruppe vom Dörpverein aber an einen anderen Eingang in Bad Rehburg. Nur einige Schritte hinter der Friederikenkapelle ist der Eingang, von Holzbohlen scheinbar gestützt und mit einem Schlussstein, auf dem noch „Anno 1894“ zu entziffern ist. Dort suchten und fanden die Bad Rehburger eine weitere Quelle, die sich aber ebenfalls schnell als nicht ergiebig erwies. Zugemauert um der Sicherheit willen ist auch dieser Eingang, nur ein kleines Loch ist frei geblieben, um den darin lebenden Fledermäusen freien Zugang zu gewähren.
Ungefähr so sahen die Stollen-Eingänge in den Rehburger Bergen einmal aus – dieser wurde allerdings gegraben, um einer Quelle Platz zum Sprudeln zu geben. Ein verwitterter Schlussstein gibt über die Entstehung Aufschluss: Anno 1894 wurde dieser Stollen begonnen.
Nicht ergiebig – das traf auch auf die vielen Stollen und Schächte in Münchehagen zu. Große Kohlevorkommen wurden dort nie gefunden, den professionellen Bergbau hielten die Vorkommen aber immerhin über rund 170 Jahre am Leben. Als sich dann bei der jüngsten Grabung am Erlengrund die Flöze als wesentlich weniger mächtig als erwartet herausstellten, war mit dem gewerbsmäßigen Bergbau in Münchehagen in den 1920er Jahren Schluss. Das einzige sichtbare Zeichen dieser Epoche im Dorf ist die Lore, die der – immer noch existierende – Bergmannsverein in der Langen Straße aufgestellt hat.
Die Folgen der Schließung trafen die Münchehäger hart, denn in den besten Zeiten des Bergbaus waren rund 120 Männer aus dem Dorf dort beschäftigt. Mit diesem Ende machten sie allerdings ein neues Kapitel in ihrer Dorfgeschichte auf: Um Arbeit zu finden zogen viele gen Niederlande, verdingten sich als Grasmäher und manche von ihnen zog es weiter bis zur Nordsee. An jener Stelle beginnt die Seefahrer-Geschichte Münchehagens – die eine weitere in der Chronik sein wird, die das Team vom Dörpverein zusammenstellt.
Das letzte sichtbare Zeichen des Bergbaus in Münchehagen ist die Lore, die der Bergmannsverein in der Langen Straße aufgestellt hat.
Zu der Geschichte des Bergbaus in Münchehagen sucht die Chronik-Sparte des Dörpvereins weiterhin nach Unterlagen, Geschichten, Überlieferungen und Fotos. Wer etwas dazu beitragen kann, kann sich mit Christiane Kruse per Mail unter oder telefonisch unter (0 50 37) 57 59 in Verbindung.
Dezember 2018
Text und Fotos: ade