Bitte mal die Klappe halten!
Büchereien, die rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche geöffnet haben, stehen mit Offenen Bücherschränken in vielen Orten im Landkreis Nienburg – und so auch in jedem der fünf Ortsteile Rehburg-Loccums. Dort dienen sie Urlaubern und Durchreisenden zusätzlich als kleine Tourist-Info.

Kommunikativ wird es an den Bücherschränken in Rehburg-Loccum immer, wenn die Frage lautet: „Können Sie mal die Klappe halten?“ Das ist dann keineswegs eine barsche Aufforderung zur Stille, sondern nur die Bitte, eine der Klappen aufzuhalten, hinter denen Bücher in langer Reihe stehen. Romane und Sachbücher, Kinderbücher, Bildbände, Kochbücher, Reiseführer – die Auswahl ist groß und dementsprechend groß auch das Interesse an den Bücherschränken.
Stehen mittlerweile vielerorts solche Schränke, die ein kostenloses Leseangebot rund um die Uhr vorhalten, so steckt hinter den Rehburg-Loccumer Schränken noch ein Mehrwert: jeweils zwei Fächer sind mit Informationen zur Stadt gefüllt. Fahrradkarten, Wegweiser für Spaziergänge und Infos zu kulturellen Angeboten liegen in Prospektform aus. „Wir wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, sagt Bürgermeister Martin Franke. Zum einen sollten die Schränke ein niedrigschwelliges Bildungsangebot sein, zum anderen aber auch Touristen jederzeit den Zugang zu Informationen bieten. Beides gelingt gut.
„Da quietschen manchmal die Reifen“, sagt Waltraud Reineking und schmunzelt. Sie ist eine der ehrenamtlichen Patinnen für den Bücherschrank, der am Loccumer Marktplatz steht. Wenn sie dort eine Klappe hält, um Ordnung in die Buchreihen zu bringen oder die Scheiben zu putzen, beobachtet sie immer wieder, wie Autofahrer auf den Schrank reagieren: Neugierig und mit einem spontanen Schwenk auf den Marktplatz, um sich das Angebot anzusehen. Manches Buch aus dem Loccumer Schrank geht so auf die Reise, denn wer unter den Buchtiteln wählen kann, wird fast immer fündig. Touristen, die das Kloster besuchen und natürlich die Menschen aus dem Dorf sind weitere „Kunden“ des Bücherschrankes.
So, wie die Schränke immer gut geleert werden, so werden sie aber auch immer wieder mit neuen Büchern gefüttert. Das ist eine andere Beobachtung, die Reineking oft macht: Menschen, die sich die Satteltaschen an ihrem Fahrrad vollgeladen haben, um ihre aussortierten Bücher hineinzustellen, die einen Korb voller Bücher über dem Arm tragen oder ein einzelnes Exemplar zum Schrank bringen, bevor sie sich auf die Suche nach neuem Lesestoff machen.
Das Angebot zu schenken oder sich beschenken zu lassen wird gut angenommen – und das schon seit sieben Jahren. Damals war eine kleine Gruppe Rehburg-Loccumer auf die Bücherschränke in Hannover aufmerksam geworden. Das lesebegeisterte Grüppchen war fasziniert von dem Konzept und wollte es in seiner Stadt auch haben. Es fügte sich glücklich, dass der Rotary-Club Rehburg-Loccum am Kloster zu jener Zeit gegründet wurde und nach einem ersten Projekt Ausschau hielt, das gefördert werden könnte. Den Rotariern kam die Anfrage gerade recht. Ein offenes Angebot für alle, das auch noch mit Bildung zu tun hat und der Leseförderung dienen kann – das war es, was sie gerne unterstützen wollten.
Ein wenig Zeit verging bis genügend Geld für fünf Schränke gesammelt war. Und weil es zum einen Geld spart, zum anderen aber auch Spaß macht, trafen sich etliche der Rotarier nicht nur, um die Fundamente der Schränke selbst zu setzen, sondern gaben auch erste Bücher her, die die Schränke füllen sollten. Die Schränke übergaben sie anschließend ins Eigentum der Stadt – die ebenfalls angetan war und bereitwillig das Aufstellen an öffentlichen Orten und auf stadteigenem Grund genehmigte.
Anfangs hatte es noch Bedenken gegeben, dass dem Vandalismus mit den Schränken Tür und Tor geöffnet werde. Doch die Akzeptanz scheint groß zu sein, zerstört worden ist kaum jemals etwas. Otto Lüer, Bücherschrankpate in Rehburg, musste zwar zweimal eingeschlagene Scheiben der Stadt melden und in Münchehagen machte sich jemand einen „Spaß“ daraus in der Silvesternacht einen Böller zwischen den Büchern explodieren zu lassen. Angesichts von fünf Schränken, die über sieben Jahre rund um die Uhr zugängig sind, betrachten die Paten das Thema Vandalismus aber als abgehakt und freuen sich stattdessen über die guten Begegnungen bei den Büchern.
„Ich habe mal einen Karl May hier gefunden“, sagt ein Mann, der an einem Sonntag mit dem Fahrrad vor einem Schrank steht, zu einem der Paten. „Vielleicht habe ich ja noch einmal Glück“, hofft er und beginnt die Reihen durchzusehen. 20 Kilometer sei er dafür gerade gefahren – ihm ist kein Weg zu weit für den Versuch, mehr vom Lieblings-Schriftsteller zu finden. Zwei kleine Jungen, die platt auf dem Po vor einem Schrank sitzen und Bilderbücher anschauen, sind eine andere Beobachtung. „Ich habe doch nicht viel Geld“, sagt hingegen eine Frau schüchtern und bedankt sich für das uneingeschränkte Angebot für alle.
Nahezu jedes Buch hat seine Berechtigung in den Schränken– von dem Roman von Marie Luise Fischer, den eine ältere Dame nach Hause trägt, bis zu dem Buch von Thomas Mann, das ein Herr aus dem Regal zieht, sich daran erinnert, wie gerne er es gelesen hat, und sofort einer weiteren Suchenden wärmstens empfiehlt. Das ist ein anderer Aspekt der Schränke: Lesende kommen dort miteinander ins Gespräch. Über Gott und die Welt – und über Bücher.
Staunen musste Annekatrein Kleine, als sie eines Tages den Schrank in Winzlar putzte. „Ich wusste erst gar nicht, was das ist, das ich dort beim Ausräumen der Bücher entdeckt habe“, sagt Kleine. Plötzlich kam hinter den Büchern ein verborgenes Fach zum Vorschein, darin ein kleines Heft mit vielen Einträgen und eine Art Schlüsselanhänger. Eine Antwort bekam sie schnell, denn zwei Männer, die genau nach diesen verborgenen Dingen auf der Suche waren, kamen angeradelt. Auf dem Rundweg um das Steinhuder Meer seien sie unterwegs, erzählten sie. Und auf der Suche nach rund 90 Caches, die dort versteckt seien. „Deshalb radeln doch so viele Leute mit GPS um das Meer“, hätten beide lachend berichtet, sagt Kleine. Auf dem gesamten Rundwanderweg seien Geocaches versteckt. Das nutzten viele, um sich auf die Suche zu begeben – die schöne Landschaft und die vielen tollen Verstecke seien schon reizvoll. Eine lange Liste mit Koordinaten hatten die Männer auf ihre Gepäckträger geklemmt und etliche der Verstecke schon entdeckt. Nach dem Geocache im Winzlarer Bücherschrank mussten sie dann nicht mehr lange suchen. Der werde im Internet unter www.geocaching,com aber allgemein gelobt, weil er so fantasievoll angelegt sei, sagten sie.
In das kleine Heft in dem Versteck trugen die Männer ihre Namen ein, den Schlüsselanhänger nahmen sie mit - denn der wolle schließlich von Cache zu Cache wandern – und ließen eine andere Kleinigkeit stattdessen zurück.
Die Bücherschrankpaten verlassen sich seitdem darauf, dass die Geocacher nach erfolgreicher Suche stets alle Bücher wieder ordentlich einräumen – und schauen ab und zu nach, wie viele neue Einträge das Büchlein in dem Versteck aufweist. Einer der Einträge vom Anfang dieses Jahres hat sie besonders gefreut. „So ein schönes Bücherhaus!!!“ hat dort der Geocacher „ganznahdran“ hineingeschrieben.
Ähnlich empfindet das Familie Terei. Mutter Sandra, Vater Jens und Tochter Annika sind schon dabei gewesen, als der Rehburger Schrank eingeweiht wurde. Seitdem schauen die Rehburger mindestens einmal pro Woche nach, was sich dort im Schrank gedreht hat. Und werden eigentlich immer fündig. Ein Teil der Bücher, die sie nehmen, wandert später zurück für weitere Lesende, einige Lieblingsbücher bleiben bei ihnen zu Hause.
Eine kleine Erinnerung daran, woher sie diese Bücher haben, prangt jeweils oben auf dem Buchschnitt. „Ich bin aus einem Rehburg-Loccumer Bücherschrank“ steht dort – zusammen mit einem kleinen Buch, das eilig auf zwei Beinen läuft. Derart stempeln die Paten die Bücher ab. Einerseits, weil eben solch eine kleine Erinnerung dort stehen soll. Andererseits aber auch, weil in der Anfangszeit nicht jeder den Hinweis „Bitte nicht mehr als drei Bücher mitnehmen!“ beachtet hat. Manchmal fehlten von einem Tag auf den anderen mehrere Meter Buch und gelegentlich wurde ihnen berichtet, dass Nutzer etwas unverschämt einen Kofferraum mit Büchern vollpackten. Der Stempel, sagen die Paten, soll darauf hinweisen, dass diese Bücher Geschenke sind – damit niemand auf die Idee kommt, sie weiter veräußern zu wollen.
Um die Schätze der Bücherschränke - also die Bücher - auch weiterhin in großer Vielfalt allen anbieten zu können, verweisen die Bücherschrankpaten darauf, dass sie umfangreichere Bücherspenden, die das jeweils aktuelle Fassungsvermögen der Schränke sprengen, auch gerne abholen. Ein Anruf unter der Telefonnummer (0 50 37) 13 89 genügt. Dort können sich übrigens auch Interessierte melden, die im Team der Paten auf die Schränke achten, sie füttern oder aussortieren – oder gelegentlich auch den Putzlappen schwingen möchten.
Juni 2019
Text und Fotos: ade
Standorte der Rehburg-Loccumer Bücherschranke:
Rehburg: am Marktplatz „Auf der Bleiche“
Winzlar: Eierbratstelle, Südstraße
Bad Rehburg: „Romantik Bad Rehburg“, Friedrich-Stolberg-Allee
Münchehagen: Festplatz, Schulstraße
Loccum: Marktplatz, Marktstraße