„Das macht was mit dem Unterbewusstsein“
Reborn-Puppen sind für Barbara Nolte Kunst, Handwerk und Passion
Die Kunst ist gelungen, wenn die Wirkung natürlich ist: Reborn-Puppen sollen Babys und Kleinkindern bis ins Detail gleichen. Geduld und Können verlangt diese Kunst, die auch die Winzlarerin Barbara Nolte seit einigen Jahren betreibt – und immer wieder auch Erklärungen zu diesen Puppen, an denen sich die Geister scheiden.
„Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie die Puppen zum ersten Mal gesehen haben?“ – Dieses Interview beginnt nicht mit einer Frage von mir. Nein, bei diesem Besuch hat diejenige, die interviewt werden soll, sofort die Initiative ergriffen und das nicht von ungefähr. Nur zu gut weiß Barbara Nolte, dass es im Prinzip lediglich zwei Fraktionen gibt, wenn es um Reborn-Puppen geht: Solche, die sie lieben, und solche, die sie „irgendwie gruselig“ finden. Welche Meinung habe aber nun ich, die ich um das Gespräch gebeten habe, um anschließend einen Artikel zu schreiben? Das will Barbara Nolte von mir wissen – und freut sich zu hören, dass ich doch zuerst mehr wissen will, bevor ich mir eine abschließende Meinung bilde. Leicht verdutzt bin ich, weil sie so vorprescht mit dem Thema, das ich eigentlich vorsichtig ansprechen wollte. Sie kennt das aber schon. „Denn sehen Sie“, sagt Nolte, „diese Puppen machen etwas mit dem Unterbewusstsein.“ Bei jedem Menschen. Davon ist sie überzeugt.
Reborn – so nennen sich Puppen, die so wirklichkeitsgetreu wie möglich aussehen sollen. Wie echte Babys, wie echte Kleinkinder. Der Eindruck soll entstehen, ein wirkliches Kind vor sich zu haben. Das ist dann allerdings eines, das nicht weint, nicht lacht, sich nicht bewegt. Je näher an die Wirklichkeit diese Puppen kommen, desto besser. Oder desto beängstigender.
Wirklichkeitsnah will Barbara Nolte arbeiten – und das ist für sie eine Kunst. Sie zeigt ihre Werkstatt, in der alle Zubehörteile für die Puppen ordentlich sortiert in Kästen lagern. Ein Kasten mit Beinen, einer mit Armen, ein Kästchen mit Augen, dann einer mit vielfältig eingefärbtem Haar. Auf dem Arbeitstisch liegt eine Babypuppe, die nahezu fertiggestellt ist. Rund drei Wochen Arbeit, sagt sie, steckten in jeder Puppe.
Am Anfang ihrer Arbeit steht die Auswahl eines Puppen-Modells. Verschiedene Anbieter gibt es, die Puppenkörper modellieren und in limitierten Auflagen verkaufen. Puppen mit geschlossenen oder geöffneten Augen und Mündern, mit gespreizten Fingern, mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck. Einiges gibt es dort an Auswahl. Kommt solch ein Paket ins Haus, kann die Arbeit der Reborn-Künstlerin beginnen, denn was sie dort erhalten hat, ist nur der Rohstoff für das Kind, das schließlich vollkommen natürlich aussehen soll.
Zwei Arbeiten stehen im Vordergrund für den realistischen Eindruck: Das Bemalen der Gliedmaßen und des Kopfes und das „Rooten“ der Haare. Rooten nennt es sich, wenn mit einer dünnen Nadel Haar für Haar in den Kopf gestochen wird. Die Kopfbehaarung ist das eine, Augenbrauen und Wimpern das andere. Ziegen-Mohair verwendet Nolte für die Haare. Das feine und weiche Gespinst kauft sie ungefärbt und verleiht ihm individuelle Farben.
Bevor die Puppen allerdings behaart werden, stehen Farben auf dem Programm. Anschaulich wird dieses Bemalen, als Nolte zwei Puppenköpfe gleicher Bauart nebeneinanderlegt. Während einer noch im Rohzustand ist, hat sie den anderen schon bemalt. Ein frappierender Unterschied: Der wachsweiße unbearbeitete Kopf bekommt „Leben“ durch die Farben, durch Hautstruktur, durch Äderchen, die im Gesicht durchschimmern. Ähnlich ergeht es auch Armen und Beinen. Nur der Torso wird nicht bemalt, besteht auch nicht aus Kunststoff, sondern aus Textilien. Er, wie auch die übrigen Bauteile, wird später mit unterschiedlichen Materialien gefüllt. In den Po, verrät Nolte, komme ein schwereres Material. So sehen die Puppen nicht nur aus wie echt, sondern fühlten sich auch so an und würden gut im Arm liegen.
Die Baby-Puppe, die sich der Vollendung nähert, ist eine Auftragsarbeit. Bald schon wird Barbara Nolte sie in einem Seniorenheim abliefern, wo sie in Therapien für Menschen mit Demenz oder Alzheimer einbezogen werden soll. Feinmotorik und Kommunikation ließe sich damit trainieren. Andere Kunden der Rebornerin sind etwa Hebammen und Ärzte. Ideal seien die Puppen schließlich, um werdenden Eltern den Umgang mit ihren Kindern zu demonstrieren, sagt sie.
In erster Linie sind die Kunden von Barbara Nolte aber Sammler, die künstlerisch gestaltete Puppen haben möchten, von denen jede ein Unikat ist. Natürlich gebe es auch andere, die auf der Suche nach einem Kinderersatz seien. Sie gebe es aber mehr in den USA, woher die Reborn-Puppen auch ursprünglich stammten. Da sei es verbreitet, dass Eltern, deren Kind verstorben sei, sich eine Reborn-Puppe kauften. Sie selbst, sagt Nolte, sehe die Puppen auf gar keinen Fall als ihre Kinder an – weshalb sie auch keiner ihrer Kreationen einen Namen gebe.
Das Atelier im Dachgeschoss ihres Hauses sieht dennoch wie ein sehr verspieltes Kinderzimmer aus. Kleine Bettchen und Wiegen, Decken mit Rüschen und Lochstickereien, ein Taufkleid auf einem Bügel und zwei kleine Schränke, in denen fein sortiert Mädchen- und Jungenkleidung hängen, bestimmen den Raum – und natürlich die Puppen, die in den Betten liegen, auf Sesseln sitzen oder – bei den Kleinkind-Modellen – auch mal mitten im Raum stehen.
„Keinen Schreck bekommen“, hat Nolte zuvor schon gesagt, „das ist kein Kinderzimmer!“ Diesen Raum hat sie eingerichtet, um Kunden ihre Modelle zeigen zu können. Ein Atelier also. Keinesfalls spiele sie mit den Puppen, sagt sie lachend, und das Arrangieren in den Betten, das Einkleiden und Betten sei ihr eigentlich ein Graus, gehöre zum Rebornen aber nun einmal dazu. Die Arbeit an den Puppen selbst macht ihr wesentlich mehr Spaß.
Vor vier Jahren hat Barbara Nolte zum ersten Mal eine Künstler-Puppe gesehen. Begeistert sei sie gewesen, sagt sie, wollte auch etwas in dieser Art haben und sei bei ihren Recherchen auf die Reborn-Puppen gestoßen. Eine erste Puppe habe sie sich gekauft und sich dann selbst an einer weiteren versucht. Seitdem begleitet sie dieses Hobby, das sie mittlerweile auch ein wenig professionell betreibt. Zwei Spielzeug- und Puppen-Messen pro Jahr können mit einem Stand von ihr rechnen. Alles weitere laufe über Mund-Propaganda. Wenn sie mit allen Arbeiten in ihrem Haus in Winzlar fertig ist, in das sie mit ihrem Mann erst vor etwas mehr als einem Jahr eingezogen ist, dann überlegt sie, ihr Atelier an manchen Sonntagen einfach zu öffnen. In Winzlar seien doch gerade im Sommer derart viele Touristen. Das geöffnete Atelier finde dann bestimmt Interesse. Vielleicht ergebe sich daraus gelegentlich auch der Verkauf einer Puppe – mindestens ebenso schön sei es aber, ihre eigene Kunst Menschen zu zeigen.
Mein ganz persönlicher Eindruck nach diesem Besuch: Ich kann dieses Hobby nun viel besser nachvollziehen: Die Freude an Handwerk und Kunst von solchen wie Barbara Nolte. Den Einsatz der Puppen in Seniorenheimen wie auch von Hebammen. Und wenn ich selbst auch keine Lust habe zum Sammeln und gewiss nicht mehr mit Puppen spielen möchte, ist doch ein Satz von Barbara Nolte hängen geblieben, den sie sagte, als wir uns darüber unterhielten, dass Frauen mit Reborn-Puppen belächelt werden: „Bei Männern finden es die Leute gut, wenn sie im Keller ihre Eisenbahn als Spielzeug stehen haben. Warum sollen Frauen nicht auch spielen?“ Da ist doch etwas Wahres dran.
Wer sich für die Reborn-Puppen von Barbara Nolte interessiert, kann zu ihr telefonisch Kontakt aufnehmen unter (01 77) 275 70 57 oder sie per Mail unter erreichen.
Februar 2020
Text und Fotos: ade