„Ein Männlein steht im Walde…“
Aus lauter Purpur hat das Männlein aus dem Kinderlied ein Mäntlein um. Der Fliegenpilz oder – mit lateinischem Namen Amanita muscari ist es. Ob diese Zeile nun schon genügt, um dem geneigten Leser einen Ohrwurm einzupflanzen?
Dann macht sie vielleicht auch Lust, sich mit der Welt der Pilze eingehender auseinanderzusetzen. Rita Lüder tut das – und gibt gerne weiter, was sie über Pilze weiß. Die Biologin ist von Kindesbeinen an in Sachen Pilze unterwegs, mittlerweile Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und möchte das Verständnis für das Reich der Pilze fördern, die weder Tier noch Pflanze sind. Auch deshalb, weil Pilze ein wichtiger aber leider immer noch wenig beachteter Bestandteil des Ökosystems sind.
Foto: ade
„Ein Panther-Pilz! Was für eine wunderbare Gelegenheit!“ Der Fund, der Rita Lüder nahe der Landesstraße in Bad Rehburg und auf dem Weg in die Rehburger Berge derart in Entzücken versetzt und die Gruppe um sie herum aufhorchen lässt, hat es in sich. Panther-Pilze, erklärt sie, gehören zu den wenigen tödlich giftigen Arten, die in diesen Breiten wachsen. Wie tückisch diese Pilze sein können, erläutert ihr Mann Frank Lüder am Beispiel des Orangefuchsigen Raukopfes: Dass dessen Gift nämlich erst nach rund 14 Tagen seine Wirkung entfalte. Lange sei das unbekannt gewesen. Als jedoch viele Menschen in einem Dorf in Polen gleichzeitig starben, stellte sich heraus, dass sie zwei Wochen zuvor bei einer Gemeinschaftsaktion diese Pilze gegessen hatten.
Rita Lüder dreht den Panther-Pilz dennoch aus dem Boden heraus und hält ihn in die Höhe. Giftige Pilze anfassen? Das ist überhaupt kein Problem, sagt sie. Denn im Gegensatz zu etlichen giftigen Kräutern hätten Pilze niemals Kontaktgift. Was die Auseinandersetzung mit Pilzen viel ungefährlicher mache.
Rita Lüder muss es wissen. Schließlich setzt die Diplom-Biologin sich seit ihrer Kindheit mit Pilzen auseinander. „Wenn ich meinen Vater nicht gehabt hätte…“, sagt sie lächelnd. Er war es, der ihre Leidenschaft für Pilze weckte. Mit der Familie sind sie oft „in die Pilze“ gegangen – obwohl das Neustädter Land, in dem sie aufgewachsen ist, gar nicht mal die ideale Gegend für Pilz-Sucher ist. Mit einem Picknickkorb sind sie losgezogen, haben die gemeinsamen Tage genossen und viel mehr gesammelt als nur Steinpilz, Marone und Champignon.
Foto: Rita Lüder
„Mein Vater ist Chemiker“, erzählt sie. Mit großer Neugierde habe er sich dem Thema Pilze gewidmet und sich mehr und mehr Wissen autodidaktisch angeeignet. Das weckte auch ihre Neugierde. „Wir haben uns hochgestachelt“, meint sie schmunzelnd. Fast wurde es ein kleiner Wettbewerb zwischen Vater und Tochter: Wer hat etwas Neues herausgefunden, wer weiß mehr?
Wanderungen rund um Neustadt auf der Suche nach Pilzen macht sie heute noch. Und trifft dabei manchmal auf alte Bekannte. Die Rotkappe, von der sie schon als Kind die Fruchtkörper geerntet hat, steht heute noch da. Langlebig können Pilze sein. Und weitaus mehr als das, was die Pilzsucher sehen. Denn der eigentliche Pilz ist ein im Boden verborgenes weites Geflecht.
Myzel nennt sich dieses Geflecht. Hauchdünne fadenartige Wurzeln. Unter der Fläche eines einzigen Fußabdruckes auf gesundem Boden, sagt die Pilz-Expertin, sind rund 100 Kilometer solcher Hyphen verborgen.
Diese Zahl ist ähnlich unvorstellbar wie die von dem größten Lebewesen der Erde, das nämlich ein Pilzgeflecht eines Hallimaschs in Amerika ist. Dieser eine Pilz erstreckt sich dort über eine Fläche von 600 Fußballfeldern, hat ein Alter von mehr als 2400 Jahren und wiegt etwa 600 Tonnen – also so viel wie 150 Elefanten. Solche Informationen weiterzugeben ist Rita Lüder ein Anliegen. Und auf Staunen darüber kann sie immer vertrauen.
„Ich finde es wichtig, die Bedeutung der Pilze im ökologischen Kreislauf wahrzunehmen. Im landwirtschaftlichen Boden und im Waldboden. Wir sollten viel mehr Wert darauflegen, unsere Lebensgrundlage zu achten und sie nicht kaputt machen. Besonders im Hinblick auf die nachfolgenden Generationen“, sagt sie.
Foto: Rita Lüder
Pilze sind weder Tiere noch Pflanzen, sondern ein Reich für sich. Eine, die für das Ökosystem wichtig ist. Dass dieses Reich in Schul-Lehrbüchern immer noch keinen Platz gefunden hat – daran möchte Rita Lüder etwas ändern. Das Ökosystem Wald könne im Biologie-Unterricht immer noch ohne Pilze gelehrt werden, sagt sie. Eine Katastrophe, die Auswirkungen habe: „Es kann 100 Jahre dauern, bis sich der Waldboden erholt hat, wenn Holz mit dem Harvester herausgeholt worden ist!“ Gibt es mehr Wissen und mehr Verständnis, kann sich auch an solchen Dingen etwas ändern.
Der Waldboden, der so lange braucht, um sich zu erholen, ist das eine, was sie beklagt. Genauso sei es aber auch mit dem Erholungsfaktor, den die Menschen sich von einem Waldbesuch erhoffen. Aufgewühlter Boden, intensive Forstwirtschaft – das sei kein schönes Erlebnis für Herz. Seele, Körper und Kreislauf. Beweisbar machen lasse sich das über die Pilze im Boden. Sie seien ein eindeutiges Indiz dafür, wie gesund ein Waldboden ist. „Glücklicherweise renne ich mit meinem Anliegen immer mehr offene Türen ein.“
Offene Türen einrennen – um dorthin zu kommen, ist Rita Lüder seit Jahrzehnten in Sachen Pilze unterwegs und macht das sehr öffentlich.
Etliche Bücher hat sie bereits geschrieben, angefangen bei einem „Grundkurs Pilzbestimmung“ bis zu einem Familien-Pilzbuch für Küche, Kreativität und Kinder. Das geht weit über das hinaus, was ein Pilzsammler im Herbst womöglich wissen will, um sich eine leckere Mahlzeit aus dem Wald zu holen. Von essbaren, ungenießbaren und giftigen Pilzen wird dort selbstverständlich erzählt. Aber auch die unwahrscheinliche Vielfalt der Pilze breitet sie aus.
Foto: Rita Lüder
Das „Männlein im Walde“ aus dem Kinderlied ist sicherlich einer der markantesten Pilze, die Marone relativ sicher, wenn unerfahrene Pilzsammler in den Wald gehen. Aber es geht doch viel weiter. Pilze in schillernden Farben und merkwürdigen Formen stellt sie in ihren Büchern vor. Ein Pilz, der wie ein überdimensionierter Schwamm aussieht? Ein unscheinbares Stäbchen, das sich aus dem Boden reckt? Solche, die wie Korallen erscheinen und andere, deren Kopf geformt ist wie ein Becher. Pilze an Bäumen und Baumstümpfen oder versteckt unter Laub scheinen nur darauf zu warten, dass ein suchendes Auge sie entdeckt und ihre Schönheit und Vielfalt bewundert.
Die Bücher allein genügten der Pilz-Kundigen aber nicht und so bietet sie auch Seminare an. In der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM) in Winzlar ist sie in jedem Herbst ein gern gesehener Gast, um Liebe und Verständnis für Pilze in Theorie und Praxis zu wecken.
Doch sie möchte noch mehr Menschen erreichen als jene, die mit Körbchen unterm Arm im taufechten Herbstwald spazieren gehen wollen. Dazu hat sie eine Ausbildung zum Pilz-Coach entwickelt. Diese wird unter dem Dach der „Deutschen Gesellschaft für Mykologie“ (DGfM) angeboten, dessen Vizepräsidentin Rita Lüder ist. Da sie es war, die die Ausbildung entwickelt hat, ist es nur natürlich, dass sie selbst auch zu denen gehört, die sie anbieten.
Multiplikatoren spricht sie damit an: Lehrer, Erzieher und Waldpädagogen beispielsweise. In einem Seminar, das über mehrere Wochenenden geht, werden diese Multiplikatoren tiefer in die geheimnisvolle Pilz-Welt eingeführt. Immer mit dem Ziel, ihr Wissen und auch ihre eigene Faszination anschließend an andere weiterzugeben.
Foto: Rita Lüder
Anschaulich soll das alles sein. Das Beispiel mit dem Hallimasch, der das größte Lebewesen der Erde ist, ist ein Wissen, das sich gut einprägt, ebenso wie 100 Kilometer Myzel unter einem einzigen Fußabdruck.
Aber auch die zahlreichen verwendungsarten, die es für Pilze gibt, machen den eigenen Sinn offen für die Faszination. Essen oder nicht essen ist nämlich beileibe nicht die einzige Frage, die sich Pilz-Sammlern stellen kann. Da sind die Arten, aus denen sich Tinte machen lässt. Aus anderen kann Papier geschöpft werden. Und viele eignen sich, um Textilfarben aus ihnen zu machen. Alle Farben des Regenbogens ließen sich daraus produzieren, sagt die Biologin.
Wer so viel Input nicht bekommen möchte, stattdessen aber wissen will, welche der selbst gesammelten Pilze in der Pfanne landen dürfen, kann die Beratungsstunden der Biologin nutzen, die sie in der Post-Apotheke in Neustadt am Rübenberge jeweils im Herbst anbietet. „Manchmal ist das wie ein kleiner Pilz-Kurs“, erzählt sie lachend. Wenn dort die Menschen mit Körben voller Pilze Schlange stehen. Ihr Tipp für alle Pilz-Sammler: Keine überalterten und verdorbenen Pilze mitnehmen. Die beileibe meisten Vergiftungen kämen nicht durch giftige, sondern durch zu alte Pilze zustande.
Informationen zu Ausbildungen zum Pilz-Coach gibt es auf der Seite der DGfM www.dgfm-ev.de, alle Angebote von Rita Lüder sind unter www.kreativpinsel.de zu finden. Viel Freude mit Pilzen!
September 2020
Text: ade
Foto: Frank Lüder
Diese Seminare werden in der ÖSSM angeboten:
Pilze kennenlernen - Grundlage und Theorie
Di, 8. September 2020
Di, 15. September 2020
Jeweils 19 bis 21.30 Uhr
Kosten 25 Euro
Pilze kennen lernen – Exkursion
Sa, 19. September 2020, 10 bis 16 Uhr
Kosten 40 Euro
Um hier mitmachen zu dürfen, müsst Ihr zuvor einen Theorie-Kurs mitgemacht haben.
Treffpunkt:
ÖSSM
Hagenburger Straße 16
31547 Rehburg-Loccum
OT Winzlar
Anmeldungen an:
ÖSSM
Tel.: (0 50 37) 967-0
info@oessm.org.de