FoodTeiler in Rehburg-Loccum

Stadtgeschichte(n)

aus Rehburg-Locccum

Lebensmittel retten - FoodTeiler in Rehburg-Loccum

Lebensmittel retten - FoodTeiler in Rehburg-Loccum

Der FoodTeiler – ungefähr zehn Monate nach Eröffnung der ersten Station muss in Rehburg-Loccum kaum noch jemandem erklärt werden, was das ist. Mit den Teilstationen in den Windfängen des Loccumer und des Rehburger Gemeindehauses ist die öffentliche Lebensmittelrettung mitten auf dem Land angekommen.

FoodTeiler in Rehburg-Loccum

Foto: ade

 Lebensmittel teilen, statt sie in der Tonne landen zu lassen? Dana Könemann war Feuer und Flamme, als sie von der Idee hörte. „Weil ich schon mal auf eine Tafel angewiesen war“, erzählt sie. Eine prägende Zeit für die alleinerziehende Mutter, als nicht genug Geld im Beutel war, um sich und ihren Sohn Ben durchzubringen. Die Spenden der Tafel halfen ihr – und spätestens seitdem weiß sie den Wert von Lebensmitteln zu schätzen. Nicht nur dann, wenn das Geld knapp ist. So wurde sie zur FoodTeilerin und schloss sich der Gruppe an, die Kühlschrank und Regal in Loccums Gemeindehaus betreuen wollte.

In Studenten-Städten ist es längst gang und gäbe: Retterstationen, in denen Lebensmittel vor der Tonne bewahrt werden. Fairteiler nennen sie sich dort, eine junge Community hebt sie aus der Taufe und meistens sind es Studenten, die sie betreuen und nutzen. Deren Ziel: Die unvorstellbare Menge von 75 Kilogramm Lebensmitteln, die pro Kopf und Jahr in Deutschland einfach weggeworfen wird, zu reduzieren. Gut für das Klima, gut für die Umwelt, gut, um auf Missstände hinzuweisen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, im eigenen Haushalt den Mülleimerdeckel nicht mehr leichtfertig zu öffnen – nur, weil die Augen beim Einkauf größer waren als der Magen. Für manche ist das auch gut fürs Portemonnaie. Letztlich geht es aber – im Gegensatz zu den Tafeln – darum, dass jede und jeder diese Teilstationen nutzen kann.

Schamgrenze auf dem Land?

Klappt das auf dem Land? Diese Frage bereitete den FoodTeilern der ersten Stunde ziemliches Kopfzerbrechen. Denn bekanntlich gibt es diese Schamgrenze auf dem Land. Sieht mich mein Nachbar, wenn ich mir ein Brot aus dem FoodTeiler nehme, und meint, dass ich es nötig habe? Wird es eher ein großmütiges Geben und verstohlenes Nehmen?

Mehr als einige Wochen und einige Aufklärungsarbeit des runden Dutzend FoodTeiler später war es in den Köpfen drin: Was im FoodTeiler liegt, ist für alle da. Und alle, die etwas nehmen, gehen erhobenen Hauptes aus dem Windfang: Wieder ein Lebensmittel vor der Tonne gerettet!

 

FoodTeiler  Was hält das Regal bereit?

: Was hält das Regal bereit? – Wer sich bedient, hilft bei der Lebensmittelrettung. ade

Die erste Teilstation gibt es seit Dezember 2021 in Loccum, im Sommer dieses Jahres ist die zweite in Rehburg geöffnet worden. In Winzlar suchen FoodTeiler noch nach einem geeigneten Ort, im benachbarten Wölpinghausen ist das Interesse ebenfalls groß.

Obst und Gemüse, Milchprodukte, Brot, Konserven, Tee, Kaffee und Süßigkeiten – alles darf in den FoodTeilern landen. Das Plakat an den Kühlschränken engt wenig ein, wenn es um das Teilen von Lebensmitteln geht. Selbstgesammelte Pilze sind verboten – zu gefährlich. Waren mit Verbrauchsdatum – Wurst und Fleisch beispielsweise – müssen mit dessen Ablauf der Tonne zugeführt werden. Alles das, was ein Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) hat, darf aber getrost auch ein wenig länger dort stehen. Der pasteurisierte Joghurt ist schließlich nicht automatisch mit dem Erreichen des MHD-Datums ungenießbar. Riechen, schmecken, dann entscheiden. Auch die FoodTeiler haben viel dazu gelernt und bringen manche Speisen auf den Tisch, die sie vorher nicht mehr kredenzen mochten.

 

FoodTeiler

 Layout: Ulrich Helms

 Rund um die Uhr geöffnet

Was beide Teilstationen dann noch auszeichnet, sind ihre Öffnungszeiten: Rund um die Uhr, 24 Stunden und das an sieben Tagen pro Woche. Alle sollen jederzeit bringen und/oder zugreifen können.

Verleitet das zu Vandalismus? Noch so eine Frage, die anfangs im Helferkreis heiß diskutiert wurde. Nach beinahe einem Jahr ist die Bilanz aber gut und das, obwohl Loccums Pastorenehepaar Diestelkamp durchs Küchenfenster oft beobachtet, dass selbst mitten in der Nacht die Windfangtür klappert und das Licht angeht. Und wer klappert dort des Nachts und zu anderen Zeiten? „Alle“, sagt Corinna Diestelkamp. Natürlich nicht wirklich alle, aber in bunter Mischung. Jung und alt, reicher und ärmer. Alle dabei. Und manchmal auch in Gruppen.

Kita Uhlenbusch kommt zum Knuspern

An der Kühlschranktür hat ein Grüppchen einen Liebesbrief hinterlassen: Kinder aus Loccums Kita Uhlenbusch, die kennenlernen wollten, wie das funktioniert.

Sie konnten es kaum glauben – sie durften sich wirklich mitnehmen, was sie wollten! Im Uhlenbusch gab es danach eine Knusperrunde mit geschenktem Obst und Gemüse. Und einige Wochen später spazierten die kleinen Uhlenbusch-Kinder ein weiteres Mal zum Kühlschrank. Dieses Mal mit großem Stolz, weil sie von ihrer eigenen Birnen-Ernte etwas abgeben konnten.

FoodTeiler Hinweis

Foto: ade

Ernte – kaum jemals sind die FoodTeiler mehr besucht worden, als zur Erntezeit. Wochenlang füllten Rehburg-Loccumer Kartons und Eimer im Regal mit Äpfeln, Birnen, Zwetschgen und Quitten. Ein eindeutiger Vorteil der Stationen auf dem Land, wo in vielen Gärten Obstbäume stehen, aber beileibe nicht jeder die eigene Ernte komplett verwerten kann. Mit klackernden Säckchen voller Walnüsse rechnen die FoodTeiler noch bis weit in den Winter hinein…

 

Gelbe Bänder an Bäumen für freie Obsternte

Auf das Konto der FoodTeiler geht es außerdem, dass an vielen Obstbäumen der Stadt in diesem Herbst ein gelbes Band wehte. Gelbe Bänder, die signalisieren, dass diese Bäume von jedem geerntet werden dürfen.

Das ZEHN – Zentrum für Hauswirtschaft und Ernährung Niedersachsen – initiiert die gelben Bänder und führt auf seiner Homepage www.zehn-niedersachsen.de eine Karte, auf der alle freigegebenen Bäume verzeichnet sind.

Eine Anfrage bei der Stadt Rehburg-Loccum – und schon bekamen die FoodTeiler eine Liste mit mehr als 100 stadteigenen Obstbäumen, die sie kennzeichnen durften.

 

FoodTeiler Äpfel pflücken

Foto: ade

Ob weniger Äpfel, Birnen und Co. unter den Bäumen verrottet sind, als in Vorjahren, wissen die FoodTeiler noch nicht. Dafür, sagen sie, sei das Projekt noch zu jung. Aber immerhin: Eine Schulklasse aus Stolzenaus Helen-Keller-Schule griff die Aktion für eine Projektwoche zur Ernte auf und holte sich, ausgerüstet mit Obstpflückern und Leitern, frische Früchte für eigenen Saft.

 


frischli, Bäcker und Co. geben ab

Aber zurück in die Gemeindehäuser. Darin landet mittlerweile mehr als nur Lebensmittel aus Privathaushalten. Denn die kommen schließlich nicht nur in heimische Tonnen, sondern auch in die des Einzelhandels und der Erzeuger.

Der größte Erzeuger Rehburg-Loccums sind die frischli-Milchwerke, deren Werk unübersehbar und seit mehr als 100 Jahren das Rehburger Stadtbild prägt. Was passiert dort mit Milch, Joghurt und anderen Milchprodukten, die falsch ausgezeichnet worden sind, deren MHD sich nähert oder die aus anderen Gründen nicht mehr mit Lkw zu Märkten in der Republik gefahren werden dürfen?

Manches gehe an Nienburgs Tafel, manches dürften Mitarbeiter sich nehmen. Immer bleibe aber noch etwas übrig, immer noch müssten sie einiges entsorgen, berichtet Betriebsleiter Heiner Gehrke.

FoodTeiler Joghurt von frischli

Foto: ade

 „Feine Sache“, ist sein Urteil zum FoodTeiler. Deshalb dürfen die Ehrenamtlichen einmal pro Woche nachfragen, ob frischli-Produkte zum Retten da sind. So landeten schon viele Stiegen Schmand, große Eimer Vanille-Pudding, Kakao und Haferdrinks in den Autos der FoodTeiler. Ulrike Schulz, diejenige mit „Hut auf“ in der Rehburger Gruppe, ist schon Stammgast an der Warenlager-Rampe der Milchwerke.

In Winzlar schenkt die Biobäckerei Honeck immer mal wieder her, was am Sonnabend nicht über den Tresen gegangen ist und verlässt sich dann auf Claudia Brandes-Hogrefe und Claudia Pförtner, die alles abholen und es zum FoodTeiler karren. Oft verbinden sie es zusätzlich mit einer Fahrt zu Loccums alter Sporthalle, der ‚Halle für alle‘, um den Speiseplan derjenigen, die seit Beginn des Ukraine-Krieges dort stranden, etwas aufzupeppen. Sie sind gern gesehene Gäste…

Rehburgs Bäckerei Wulf nutzt den kurzen Weg zum Gemeindehaus und bringt überzählige Backwaren selbst, und Familie Mergenthaler von Winzlars Bio-Gartenbaubetrieb Rosenhof bringt immer dann Gemüse nach Loccum, wenn es ohnehin gerade passt. Weil doch lange nicht alles, was den Anforderungen des Handels nicht genügt, nur noch gut für die Tonne ist.

Für Rosenhof-Inhaber Harald Mergenthaler ist die FoodTeiler-Initiative außerdem ein kleiner Augenöffner gewesen. „Seitdem wir davon wissen, geben wir unseren Mitarbeiter viel mehr von dem mit, was sonst auf dem Kompost gelandet ist“, erzählt er. Lebensmittel gerettet, Ziel erreicht.

Weitere Kooperationen mit dem Einzelhandel bauen die FoodTeiler auf. Immer dort, wo es sinnvoll ist – und immer nur das, was die Tafeln nicht annehmen können.

Klimafasten und Schnippelaktion

Weil nahezu alles so prima anläuft und weil die FoodTeiler gerne auch noch mehr Werbung für ihr Projekt machen mögen, laden sie manchmal auch zu kleineren Aktionen ein.

FoodTeiler Schnippelaktion

Foto: ade

Landeskirchen rufen dazu auf, beim Klimafasten mitzumachen? – Loccums FoodTeiler haben aus dem, was im Kühlschrank war, im Hof ein Süppchen gekocht und alle dazu eingeladen.

Erntedankfest? – In Rehburg und Loccum mit den FoodTeilern, die aus gerettetem Obst und Erntegaben kostenlos Obstsalat abgaben. In Rehburg während des Gemeindefestes, in Loccum in der Stiftskirche und mit Schnippelaktion mitten im Gottesdienst. FoodTeilerin Susanne Treichel hatte alle Hände voll zu tun, die kleine Bande Kinder, die voller Tatendrang, mit Brettchen und Messern in die Kirche gekommen waren, zu dirigieren.

FoodTeiler Erntedankfest

Foto: ade

 





Kontakte

Und wo bekommen Interessierte mehr Infos zu den FoodTeilern? Auf Facebook haben sie die Gruppe „FoodTeiler Rehburg-Loccum“. Rege genutzt von mittlerweile mehr als 700 Followern.

Fragen beantworten aber auch Ulrike Schulz für Rehburg unter (05037) 779 oder per E-Mail an ulrikeschulz19@gmail.com oder Beate Ney-Janßen unter (0174) 9139598 oder per E-Mail an ney-janssen@t-online.de.

Wer dann immer noch die FoodTeiler sucht, geht direkt in die Windfänge der Gemeindehäuser:

Rehburg

Heidtorstraße 5

Loccum

Weserstraße 1

Text und Fotos: ade
November 2022