Vom Bad zum Luftkurort
Bad Rehburg im Wandel der Zeiten
Wer Sinn für wild-romantische Ansichten hat, sollte im Frühjahr auf Bad Rehburgs Promenaden wandeln. Ganz nah am Friedrichspavillon eröffnet sich durch zartes Baumgrün mit etwas Glück der Blick auf blühende Magnolien inmitten einer wuchernden Blumenwiese. Dahinter, kaum noch zu erahnen, schmiegt sich ein langgestrecktes Gebäude an den Hang, reihen sich hölzerne Terrassen aneinander. Verfallen, verkommen, seit vielen Jahren nicht genutzt. Was jetzt morbiden Charme verströmt, hat in Bad Rehburg mehr als 80 Jahre lang dazu beigetragen, Lungenkranke zu kurieren. Als Bremer Heilstätte ist das Haus immer noch bekannt, auch wenn dessen Kurbetrieb vor bald 50 Jahren eingestellt wurde. Eine von vielen Heilstätten, die sich Lungenkranken widmeten und dem kleinen Kurort das Überleben sicherten.

Im Frühjahr blühen die Magnolien vor der Liegehalle der ehemaligen Bremer Heilstätte – alles andere verströmt morbiden Charme.
Es ist die Zeit der Romantik, auf die immer wieder auflebt, wenn die Geschichte Bad Rehburgs erzählt wird. Jene Zeit, in der das hannoversche Königshaus zunächst in Zelten, später in immer luxuriöseren Unterkünften neben den angeblich heilkräftigen Quellen residierte. Badekuren waren en Vogue und selbst gekrönte Häupter ließen sich tagelang in Kutschen durchschütteln, um zu den Rehburger Bergen zu gelangen.
Diese Quellen hatten ihre Hochzeit allerdings schnell hinter sich. Statt zu sprudeln, begannen sie zu tröpfeln, versiegten schließlich ganz. Wie aber den Prunk und auch den Reichtum des Bades behalten, wenn dessen Lebenselixier versiegte?
Das Umschwenken auf Molkekuren erwies sich für die Bad Rehburger als wenig ergiebig. Zu unattraktiv für hohe und auch niedere Herrschaften, abgesehen davon, dass jenes Gebräu dem überwiegenden Teil der Bevölkerung nur ein „Schmeckt scheußlich!“ abrang.
Tuberkel-Bazillus verschafft dem Bad Hoffnung
Die nächste Idee lag nahe, nachdem Robert Koch 1882 das Tuberkel-Bazillus entdeckte und dessen hochansteckende Wirkung bekannt machte. Was Koch nicht mitliefern konnte, war die passende Medizin gegen die oft tödlich verlaufende Tuberkulose. Eines jedoch sollte helfen: Frische Luft in mildem Klima. Davon gab es reichlich in Bad Rehburg und so nahte die Geburtsstunde des Luftkurortes. Nur vier Jahre nach Kochs Entdeckung eröffneten gleich zwei Männer Lungenheilstätten im Ort.
Einer von ihnen war Dr. Rudolf Michaelis. Er wirkte schon lange in dem Ort, war Badearzt und kümmerte sich außerdem um Krankheiten aller Art in der Bevölkerung. „Use schwarte Doktor“ nannten ihn die Leute – weil er stets mit einem schwarzen Schlapphut auf dem Kopf unterwegs war. Michaelis nahm den Niedergang des Bades nicht hin und baute stattdessen das Haus Viktoria Luise. „Beamte aller Art“ sollten dort willkommen sein, um ihre Lungenleiden auszukurieren.

Eine der ersten Lungenheilstätten Bad Rehburgs gründete Rudolf Michaelis – heute befindet sich in diesem Gebäude das ‚Haus Viktoria Luise‘.
Die Kur bestand in erster Linie aus stundenlangen Aufenthalten auf den großen Veranden der Gebäude. Die Kranken legten sich nieder, ließen sich in Decken wickeln und waren angehalten, nur eines zu tun: Atmen.
Auf diese Art kamen in Bad Rehburg Veranden in Mode. Veranden, die fortan nur noch Liegehallen geheißen wurden. Drei von ihnen haben die Zeit überdauert – in mehr oder weniger gutem Zustand.
Die Liegehalle am Haus Viktoria Luise konnte bis 2017 genutzt werden, erst dann wich sie einem Neubau. Sein Lungenleiden kurierte dort allerdings bereits ab 1969 niemand mehr aus. Seitdem ist es eine Einrichtung für Menschen mit Mehrfachbehinderungen.
Bäckerei wird zum Sanatorium
1886 war Michaelis jedoch nicht der Einzige, der auf Luftkuren setzte. Zeitgleich eröffnete ein anderer Arzt direkt gegenüber der Badeanlagen in einer ehemaligen Bäckerei ein Sanatorium und tat dort ein Übriges, um finanzstarke Kranke zu gewinnen.
Hatte Michaelis sofort ein ansehnliches Haus für seine Beamten bauen lassen, so musste 1890 erst ein zweiter Arzt den Bäckerbetrieb übernehmen, um auch dort größere Kapazitäten zu schaffen. Dr. Hans Lehrecke baute an – großzügig – und schaffte damit einen Gebäudekomplex, der heute mit dem Land Niedersachsen seinen vorläufig letzten Eigentümer gefunden hat und als Maßregelvollzugszentrum fungiert.

Das Matteschlößchen in Wölpinghausen war Dr. Lehreckes Heilstätte angeschlossen – und entwickelte sich zum beliebten Ziel für Kaffee und Kuchen mit Weitblick.
Lehrecke blieb nur wenige Jahre Eigentümer, finanzielle Schwierigkeiten zwangen ihn 1900, an die Klosterkammer Hannover zu verkaufen. Die zehn Jahre dazwischen genügten ihm aber, um nicht nur in Bad Rehburg groß zu bauen, sondern auch im benachbarten Wölpinghausen ein Haus auf hohem Berg errichten zu lassen, das in weitem Umkreis seinesgleichen sucht: Das Matteschlößchen.
Anfangs wurde auch dort gekurt, später wanderten die Kranken aus Bad Rehburg zum Schlösschen, um es sich bei Kaffee und Kuchen gut gehen zu lassen. Heute ist das nicht mehr möglich, das Matteschlößchen befindet sich in Privatbesitz.
Werben im Schüttelreim
In Bad Rehburg trug Lehreckes Klinik mittlerweile den Namen Klosterheilstätte und nahm Lungenkranke aus den Kreisen der Geistlichkeit, der Lehrer, sowie der Staats- und Kommunalbeamten aus der Provinz Hannover auf – und Bad Rehburg warb mit ansprechenden Postkarten sowie volltönenden Worten im Schüttelreim für seinen sich im Aufbau befindenden Kurbetrieb:
Hier rauscht kein Alpenstrom
Durch wilde Felsenklüfte;
Doch wild vom Waldesdom
Wehn frische Segenslüfte
Vom Lärm der Welt geschieden
Und alles athmet Frieden.
Mit dem atmenden Frieden war es zu Beginn des Ersten Weltkrieges allerdings vorbei und statt Geistlichkeit hielten Soldaten Einzug in die Klosterheilstätte: Sie wurde zum Militärlazarett umfunktioniert.

In der königlichen Klosterheilanstalt sind Kinder auch schon mal per Esel durch die Umgebung kutschiert worden.
1920 erfolgte der nächste Umbruch, die nächste Namensänderung. Liebrechtsborn stand nun über der Tür, die Landesversicherungsanstalt Hannover hatte den Komplex gekauft, Frauen und Kinder sollten sich erholen und in den Liegehallen die „frischen Segenslüfte“ atmen.
Eine weitere Unterbrechung erfuhr das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg, als die britische Besatzung es zum Militärhospital Montgomery umfunktionierte. Ein bedrückendes Zeugnis dieser Zeit ist bis heute ein Friedhof hinter der Klinik. Auf ihm wurden Patienten beerdigt, denen nicht mehr geholfen werden konnte. 228 Namen von Menschen aus vielen Nationen sind in 26 Grabsteine eingemeißelt. Namen von KZ-Häftlingen, von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und anderen Opfern der Nationalsozialisten.
Neue Therapien machen Luftkuren überflüssig
Als die Briten Bad Rehburg schließlich verließen, übernahm die Versicherungsanstalt wieder und setzte die Luftkuren fort. Neue Therapieansätze zur Bekämpfung der Tuberkulose und ständig weiterentwickelte Medikamente machten allerdings nach und nach die teuren Aufenthalte in Luftkurorten überflüssig. 1972 war mit dem, was Lehrecke nahezu ein Jahrhundert zuvor angefangen hatte, endgültig Schluss.
Eine Liegehalle hat jedoch im Park des Maßregelvollzugszentrums als Relikt aus jener Epoche die Zeit überdauert. Wer sich dafür interessiert, darf den Park aufsuchen – er ist öffentlich zugängig.

Überbleibsel aus der Zeit der Lungenheilstätten: Die Liegehalle im Park des heutigen Maßregelvollzugszentrums.
Einen Kurbetrieb gab es auch in dem klassizistischen gelben Bau an der Bundesstraße durch Bad Rehburg. ‚Sanatorium‘ wird es noch heute genannt und ist mittlerweile ebenfalls in Privatbesitz. Der rückwärtige hohe Anbau mit Türmchen, auf dem einst Kurende in der Liegehalle ruhten, steht schon lange nicht mehr.
Angst vor Ansteckung treibt Blüten
Ob es die Lage dieses Sanatoriums war, die Bewohner der umliegenden Orte dazu brachte, beim Durchfahren Bad Rehburgs ihre Fenster hochzukurbeln? Es hält sich das Gerücht, dass diese Praktik lange Zeit anhielt. Bad Rehburgs Luftkurort sorgte zwar für viele Arbeitsplätze, aber auch für eine gewisse Angst vor Ansteckung. Wer wusste schon, ob ihn die Tuberkulose nicht doch durch das geöffnete Fenster anfliegen konnte? Aus all den Jahren, in denen infektiöse Kranke behandelt wurden, ist jedoch kein einziger Fall von Ansteckung in der Bevölkerung, unter den Mitarbeitenden oder gar unter den Durchfahrenden bekannt.

Im Kurbetrieb hatte sich unterdessen das Bild der Postkartenständer gewandelt. Die sich auf einer Liege räkelnde und die Zehen biegende Dame, die einen Gruß aus Bad Rehburg entsendet, tut dieses ganz im Stile der 1950/60er Jahre.
Blick aufs Meer vom Marienheim
Einen nach wie vor relativ unverfälschten Blick auf eine der Heilstätten der Anfangsjahre bietet die Residenz Meerblick. Sie liegt auf einer Kuppe am Rande des Ortes und hat ihren Namen nicht von ungefähr bekommen: Auf den Balkonen des Hauses eröffnet sich nach wie vor ein weiter Blick über das Land bis auf das Steinhuder Meer. Unter den Namen Marienheim hatte die Henrietten-Stiftung Hannover das Haus 1914 für lungenkranke Frauen und Kinder errichten lassen. 1988 wurde aus dem Marienheim ein sozialpsychiatrisches Wohnheim – die Residenz Meerblick.

Das Marienheim (heute Residenz Meerblick) liegt am Rande Bad Rehburgs auf einer Kuppe mit Blick aufs Steinhuder Meer.
Der wild-romantische Anblick in dem Konglomerat der ehemaligen Lungenheilstätten bleibt indes der eingangs erwähnten Bremer Heilstätte vorbehalten. Sie wurde 1914 vom Bremer Heilstätten-Verein eröffnet und zeichnete sich dadurch aus, dass sie mittellosen Lungenkranken Kuren ermöglichen sollte. 1974 war auch in der Bremer Heilstätte Schluss mit diesen Kuren. Sie schloss wegen Unterbelegung, wurde aber für mehrere Jahrzehnte noch anderweitig genutzt, zuletzt zur Ausbildung von Heilerziehungspflegern. Als diese Schule zum Beginn des Jahrtausends in ein neues Gebäude in Stadthagen zog, blieb die Bremer Heilstätte verwaist. Seitdem verfallen das Haus und die Liegehalle, können Blumen ungestört wuchern und werden die Magnolien nicht beschnitten. Dass sich eines Tages daran etwas ändert, darauf hoffen nicht nur die Bad Rehburger.
Oktober 2022
Text: Beate Ney-Janßen

Zum Vergleich: So nahmen sich die Liegehallen der Bremer Heilstätte nach dem Zweiten Weltkrieg aus.
Hinweis: Falls wir nun Begehrlichkeiten geweckt haben, die Bremer Heilstätte selbst aufzusuchen: Das Betreten von Grundstücken und das Eindringen in Häuser erfüllt selbstverständlich auch bei leerstehenden Objekten diverse Straftatbestände – es ist also verboten!
Und hier noch einige weitere Postkarten-Schätzchen, die einen Eindruck von Bad Rehburg aus jener Zeit vermitteln, als Luftkuren den Ort am Leben erhielten:

Sanatorium Lohr am Kreuzplatz

Droste-Marienheim Bad Rehburg

Eindrücke von Bad Rehburg

Sanatorium Liegehalle

Luftaufnahme Sanatorium Lohr

Sanatorium Liebrechtsborn

Sanatorium Lohr Rückseite