Vom Siechenhaus zum Klostergut
Vom Siechenhaus zum Klostergut
„Privat!“ – Diesen Hinweis hat Familie Eggers weitaus mehr als nur einmal aufgestellt und das ist durchaus notwendig, denn das Klostergut Loccum, auf dem die Familie lebt und arbeitet, zieht Besucher geradezu magisch an. Kaum verwunderlich, denn dass es sich bei dem Hof um einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb handelt, wird angesichts der denkmalgeschützten Gebäude von der Pilgerscheune über das Taubenhaus bis hin zum Siechenhaus erst auf den dritten oder vierten Blick deutlich.

„Wir führen die Tradition der Mönche fort“, sagt Anneke Eggers. Ein rundes Dutzend Neugierige hat sie um sich versammelt, dem sie Struktur und Historie des Klosterguts in Kurzform erläutern will. Tradition - damit meint sie die Landwirtschaft, die immer zum Kloster dazu gehörte. Waren die Mönche in den ersten Jahrhunderten nach der Gründung von 1163 noch Selbstversorger, so gaben sie diesen Part irgendwann ab. Manchmal an einen vom Kloster bestellten Verwalter, zu anderen Zeiten verpachteten sie ihre Ländereien.
Erdbeeren, Spargel und Gurken vom Klostergut
Momentan haben Anneke Eggers Eltern das Gut gepachtet. Wie schon ihre Großeltern. Anneke hofft, in dritter Generation die Bewirtschaftung zu übernehmen. Noch studiert die 24-Jährige Landwirtschaft. Auf dem Hof hilft sie aber immer dann, wenn sie Zeit hat und ist bereits dabei, erste eigene Projekte das Laufen zu lehren. Ein Kürbisfeld hat sie im vergangenen Jahr angelegt, aktuell versucht sie sich am Ziehen von Einlegegurken. Den Bereich der Sonderfrüchte, den ihre Eltern mit Erdbeeren und Spargel begonnen haben, will sie noch ausbauen.
„Eines unserer Standbeine“, sagt Annekes Mutter Ulrike Eggers. Ein weiteres sei die konventionelle Landwirtschaft mit dem Anbau von Getreide und Zuckerrüben. Das dritte die Biogasanlage, die die benachbarte Evangelische Akademie und das Wasser im Freizeitbad Münchehagen kuschelig warm halte. Im Dreiklang funktioniert der Wirtschaftsbetrieb – selbst auf dem historisch geprägten Gelände.

Das Historische an dem Hof liebt die ganze Familie Eggers – ist sich aber oft auch leidvoll bewusst, welche Beschränkungen es ihr auferlegt. Wo die immer größer werdenden Maschinen unterstellen, wenn Veränderungen an den Gebäuden nahezu unmöglich sind?
Familie Eggers hat sich damit arrangiert, findet immer irgendwelche Lösungen. Und arrangiert sich auch damit, dass sie jedes Jahr einen Teil ihrer Einnahmen ausgeben muss, um instand zu setzen, was der Denkmalschutz fordert. Ihr Ausgleich ist das traumhaft schöne Gelände – dem sie aber eben auch den Stempel „PRIVAT!“ aufdrücken müssen. Damit Neugierige nicht von Traktoren überrollt werden – und auch nicht zum spontanen Besuch auf der Terrasse auftauchen.
Geisternde Mönche nicht gesichtet
Das Wohnhaus an dieser Terrasse hat eine sehr lange Geschichte. „Siechenhaus“ wird es genannt. Weil es ursprünglich als Hospiz und Krankenhaus für die Mönche gebaut wurde. Ulrike Eggers erzählt, dass eine Freundin sie einmal fragte, ob es im Haus spuke, weil doch so viele Mönche dort ihren letzten Atemzug getan haben. Sie lacht und versichert, dass ihr auf den Gängen noch niemals ein Gespenst begegnet sei.
Von Spukgeschichten weiß auch ihr Mann Hans Werner nichts. Stattdessen erzählt er die Geschichte, wonach die Mönche, wenn sie im Siechenhaus verstarben, auf direktem Weg ins Paradies getragen wurden.
Paradies – das ist der Name eines kleinen Waldstücks, das direkt an das Klostergut anschließt. Der Gutspächter zeigt mit ausholenden Armbewegungen den schnurgeraden Weg, der von der rückwärtigen Tür des Siechenhauses durch den Garten und ein Tor in der Klostermauer zu dieser himmlischen Versprechung führte.

Weil es aber nicht nur Hospiz, sondern auch Krankenhaus war, kam nicht jeder mit den Beinen voran aus dem Siechenhaus ins Paradies. Hans Werner Eggers zeigt auf den Trakt, den er die Fleischküche nennt. Heute ist sie Abstellraum, damals wurde dort das zubereitet, was nebenan im Kloster nur sehr selten auf den Tisch kam: Fleisch.
Den Kranken sollte das nicht vorbehalten werden, sie durften sich im Siechenhaus mit kräftigender Kost aufpäppeln lassen. „Vielleicht machte es den Mönchen manchmal Freude, krank zu sein“, vermutet Eggers schmunzelnd. Weiteren Luxus für die Kranken gab es mit einer hauseigenen Kapelle. Auch sie wird nicht mehr genutzt, die steinernen Becken für das Weihwasser sind aber immer noch vorhanden.
Der Abt baut sich einen Ballsaal
Als das katholische Kloster protestantisch wurde, war es mit dem Siechenhaus vorbei. Doch wenn auch keine Mönche mehr genesen mussten, so wurde das Kloster doch immer noch von Äbten geführt. Und von denen legten mancher Wert darauf, die Würde des Amtes und die eigene Wichtigkeit durch einen präsentablen Wohnsitz herauszustellen. Weshalb dann nicht das große Haus mit seinen 500 Quadratmetern Wohnfläche zu diesem Zweck nutzen, fragte sich Abt Ebell und machte es 1728 zur Abtei.
Der Siechenstandard genügte ihm jedoch nicht, etwas prunkvoller durfte es schon sein. Hans Werner Egers meint zu wissen, dass Ebell die Mönchzellen im Obergeschoss kurzerhand in einen Ballsaal verwandelte und sich zudem eine Freitreppe bauen ließ - damals in gehobenen Kreisen absolut en Vogue. Viele Füße haben seit 1728 die steinernen Stufen ausgetreten und viele Blicke werden sich am Treppenende zu dem gemeißelten Krummstab im Türsturz erhoben haben.

Die Bequemlichkeit reichte aber nicht unbedingt soweit, dass es dem Abt auch wirklich warm werden konnte. Der riesige Schornstein in der Diele der Diele des Siechenhauses wird seinerzeit sicherlich gut befeuert worden sein. Ob das aber reichte, um die Kälte aus dem Gemäuer zu vertreiben? Das Anheizen des Schlotes ist längst einer Zentralheizung gewichen, Ulrike Eggers sagt aber dennoch, dass sie seit ihrem Einzug ständig gefroren habe. Ihr Mann bekräftigt das: Auf den langen unbeheizten Fluren von einem Raum zum nächsten sei bei ihnen allen eher der Laufschritt angesagt. Eine der Investitionen aus den vergangenen Jahren, über die das Ehepaar sich besonders freut ist der Kamin im Wohnzimmer.
Sie haben sich mehr oder weniger daran gewöhnt. Schließlich bearbeitet das Paar seit 25 Jahren das Klostergut. Hans Werner Eggers lebt sogar schon vier Jahrzehnte dort – seit seine Eltern als Pächter nach Loccum zogen.
Kutscher fuhr in Livree vor
Davor, erzählt er, hatte zehn Jahre lang ein vom Kloster eingesetzter Verwalter das Sagen. Das habe sich wohl als keine allzu gute Idee erwiesen. In erster Linie erzähle man sich in Loccum von diesem Verwalter, dass er einen eigenen Kutscher hatte, der mit Pferd, Wagen und in Livree direkt vor das Wohnhaus fahren musste, wenn der Herr das inspizieren wollte, was ihm anvertraut war. Wohlgemerkt: In den 1970er Jahren!

So suchte sich das Kloster doch lieber wieder einen Pächter. Es scheint so, als seien alle Beteiligten mit diesem Arrangement auch im 40. Jahr zufrieden und geht es nach Anneke Eggers, bleibt es auch in Zukunft so. Sie hofft darauf, dass die Bedingungen für Landwirte so bleiben, dass es sich auch für sie rentieren wird, das Klostergut zu führen. Mit allen seinen Besonderheiten, die sie schließlich von klein auf kennt. Warm wird ihr bei der Arbeit garantiert.
Juli 2022
Text und Fotos: Beate Ney-Janßen