Experimentierer im Landbau
Wenn Erde aus den Gemüsebeeten durch seine Finger rieselt und ein weitverzweigtes Geflecht von Wurzeln auf dem Handteller zurückbleibt, ist Jon Taylor in seinem Element. Seit Jahren beackert er den Boden, lotet aus, erlebt sowohl Fortschritte als auch Rückschläge bei dem Ansatz der regenerativen Landwirtschaft, den er auf eigener Scholle in Münchehagen verfolgt.

Prachtvolle Ernte: Die Zwiebeln trocknen in Reihen. ade
Einmal pro Woche fahren Freund:innen aus dem Dorf auf dem Hof vor und holen sich eine Kiste mit Gemüse ab. „Das war gar nicht beabsichtigt“, sagt Jon lächelnd. Eigentlich wollte er alles, von Kartoffeln bis Salat, doch nur für die eigene Familie anbauen. Über allem, was er ausprobieren wollte, haben die Beete sich aber immer weiter ausgedehnt.
Hinzu kam, dass die Erträge durch seine Art des Anbaus größer wurden – und schon wusste die Familie nicht mehr, wie sie alles verzehren sollte. Derart viel Tomatensauce lässt sich gar nicht einkochen, wie die Pflanzen Früchte liefern.
Für Freund:innen eine Gemüsekiste
Bettina Lampe-Beinlich ist das nur recht. So kommt sie von Juni bis Dezember zu einer Gemüsekiste. Ihre Mutter, erzählt die Loccumerin, habe zwar auch einen Gemüsegarten und einen wirklich grünen Daumen. Aber etwas derart Leckeres wie die Karotten von Jon habe sie dort noch nicht bekommen.
Im Gegenzug hat sie eine Birne aus ihrem Garten auf den Tisch gelegt. Eine frühe Sorte. Zum Probieren für Jon. Besteht die Birne den Geschmackstest, wird nachgeliefert.
Das Freund:innen-Projekt hat sich eingependelt, die Früchte verkommen nicht mehr und wenn Jon nach morgendlicher Ernte die Kisten packt, steckt einiger Ehrgeiz in der Auswahl.

Erster Versuch: In ökologischer Landwirtschaft hat sich Jon Taylor (rechts) bereits in den 1990er Jahren versucht. privat
Die Leidenschaft für Landwirtschaft und Gemüseanbau ist bei ihm gewachsen, als er kaum grün hinter den Ohren war. In seinen Zwanzigern tat er sich mit drei Freunden zusammen. Sie pachteten ein Stück Land und legten los. Ökologisch sollte der Anbau sein. Damals war das in vielen Gebieten noch ein nahezu revolutionärer Ansatz. Zumal in Großbritannien, wo Jon seinerzeit lebte.
„Um bekannter zu machen, was das eigentlich ist, haben wir unser Gemüse auf Märkten verkauft“, erinnert er sich. Viele hätten nicht die geringste Ahnung gehabt, dass es so etwas wie ökologische Landwirtschaft überhaupt gibt – geschweige denn, wozu sie gut ist.
Die Freunde arbeiteten engagiert, voller Überzeugung – und auch reichlich naiv, wie Jon lachend erzählt. Woher hätten sie denn wissen sollen, dass Boden nicht gleich Boden ist? Dass nicht alles überall und sofort wächst und gedeiht?
Jung und naiv in den Öko-Landbau
Sie hatten sich darauf verlegt, ausschließlich mit Pferdemist zu düngen und keine Pestizide zu verwenden. Das war für sie der Inbegriff des ökologischen Landbaus. Dass die Ernte in den ersten drei Jahren einigermaßen annehmbar war, führt Jon heute darauf zurück, dass sie mehr Glück als Verstand hatten.
Im vierten Jahr kam ihnen in die Quere, was alle Landwirte Tag für Tag beschäftigt: das Wetter. Die Ernte des Jahres war miserabel. Ideen, wie sie bei jeder Witterung zuverlässige Erträge einfahren könnten, hatten sie nicht.
Zwei weitere Jahre hielten sie durch. Danach ging jeder seiner Wege. Ausgeträumt, das Abenteuer von der ökologischen Landwirtschaft, in das sie sich mit derart großem Enthusiasmus gestürzt hatten.

Floral: Die Liebe zu Pflanzen zeigt sich bei Jon Taylor selbst in seinen Terrassentüren. ade
Jon lernte sein Zweitliebstes, wurde Zimmermann und Tischler. Wie gut er dieses Handwerk beherrscht, haben alle vor Augen, die sich auf dem Hof umsehen – von den verschachtelten Dächern über die selbstgebaute Küche bis hin zu den Terrassentüren. Dass diese Türen einen sachten Jugendstil-Anklang haben und an florale Elemente erinnern, verwundert niemand, der seine Leidenschaft für den Gartenbau kennt. Mit dem Handwerk verdient der 54-Jährige nach wie vor seinen Lebensunterhalt.
Theorie vor der Praxis
Das Beackern des Bodens nahm er als Hobby wieder auf, als er mit Familie vor 14 Jahren auf den Resthof in Münchehagen zog. Erst knüpfte er an Erfahrungen aus der Episode in Großbritannien an und versuchte, den ökologischen Landbau im eigenen Gemüsebeet zu verfeinern. Mit mehr oder auch weniger Erfolg. Dann setzte ihn eine Knieverletzung für zwei Monate schachmatt.
Die Zeit vertrieb er sich damit, im Netz zu surfen, entdeckte das Konzept der regenerativen Landwirtschaft – und hatte bis zu seiner Rekonvaleszenz jede Menge theoretisches Wissen angehäuft. Danach – stieg er in die Praxis ein.

Symbiose: Boden und Pflanzen müssen aufeinander eingestimmt werden, ist Jon Taylors Überzeugung. ade
Was er ausprobieren wollte: die Gesundheit seines Bodens so verbessern, dass sich synthetische Pflanzenschutzmittel und Dünger erübrigen. Jetzt stand der Boden im Mittelpunkt. Ihn wollte er aufbauen – und darüber den Pflanzen zu mehr und gesünderem Wachstum verhelfen.
Nun geht das eine nicht ohne das andere. Ein fruchtbarer Boden entsteht durch Pflanzen, die auf ihm wachsen, die ihm Nährstoffe und organische Substanzen zufügen, ihn vor Sonne und Erosion schützen und die helfen, Feuchtigkeit länger im Boden zu halten. Denn auch das Bodenleben wird durch Pflanzen genährt. Durch Bakterien, Pilze und durch kleinste Lebewesen - wodurch Pflanzen wiederum besser gedeihen.
Weder umgraben noch pflügen
Das erreicht er auf vielen Wegen. Einer ist die Fruchtfolge und als Beispiel zieht er eine kleine Parzelle heran: Dort hat er Kartoffeln gesetzt, sie im Herbst geerntet. Um den Boden zu schützen und mit Nährstoffen anzureichern, durfte auf dem Stückchen Land über den Winter Gründünger stehen.
Umgraben oder gar pflügen im Frühjahr? Nicht in seinem Garten. Also pflanzt er direkt in den Gründünger. Kürbis oder Kohl. Die Pflänzchen brauchten für den ersten Schub zwar manchmal etwas länger, danach wüchsen sie auf dem bedeckten Boden aber umso besser, sagt er.
Danach folgt eine Frucht auf die andere – und immer soll die vorhergehende Pflanze den Boden gut auf die nächste vorbereitet haben.
Manchmal mäht und mulcht er die Gründüngung nach dem Winter, andere Male erledigt der Frost die Arbeit. Wird Mulch entfernt, bleibt nackter Boden für kleine Saat. Andere Male wird Gründünger zu den noch zarten Gemüsepflänzchen gesät, um nach der Ernte bedeckten Boden zu hinterlassen.
Den Boden, sagt er, störe er nach Möglichkeit nur bei der Kartoffelernte. Ohne Umgraben komme er an die Knollen schließlich nicht heran.

Gedeiht: Im Gemüsegarten wächst vieles auf den kleinen Parzellen. ade
Zum nächsten Winter streut er Mulch auf das Beet – von dem vieles mit dem Boden eine Symbiose eingeht. Die Reste vom Mulch zieht er im Frühjahr ab – um Zwiebeln auf den nun nackten Boden zu setzen.
Dünger darf sein – aber bitte natürlich
Alles eine Frage des Ausprobierens, verbunden mit einer Portion Glück? Nein, so einfach macht Jon es sich nicht. Die Ausgewogenheit seines Bodens lässt er gelegentlich analysieren. Stimmt die Anreicherung mit Mangan, Kalium, Schwefel und Stickstoff? Womit müsste er seiner Erde auf die Sprünge helfen? Und wie hat sich der Boden über Jahre entwickelt?
Nach Möglichkeit antwortet er dem Boden mit Pflanzen, die genau das hineintragen, was dort fehlt. Doch auch vor anderem Dünger macht er nicht Halt. Der soll allerdings nicht synthetisch, sondern möglichst der Natur entnommen sein. Er ist überzeugt: „Chemikalien sind nicht schlecht für die Böden. Nur solche, die nicht in der Natur vorkommen, stören das Leben im Boden und können nicht abgebaut werden.“ Glyphosat ist sein bevorzugtes Beispiel.

Mehr als genug: Weil der Gemüsegarten ertragreich ist, bekommen Freund:innen regelmäßig Gemüsekisten. ade
Mit einigem Stolz führt er im Hochsommer durch seinen Garten, sticht – ganz entgegen seiner Überzeugung – mit einer Schaufel in den Boden, um die lockere Erde zu zeigen, die unter der obersten Schicht immer noch Feuchtigkeit hält und an die Pflanzen abgeben kann. Nichts ist verdorrt im Garten. Die Zwiebelernte, die zum Trocknen auf einem Tisch in der Sonne liegt, ist prächtig. Und in den vielfältigen Gemüsesorten, die im Beet wachsen, summen Insekten in großer Anzahl.
Selbst KI wird herangezogen
Bodenkunde, Chemie, Biologie – Jon zieht alles heran, was ihm helfen kann, den Boden zu verstehen. Und auch die Vorzüge der künstlichen Intelligenz hat er für seinen Garten entdeckt. In den USA, berichtet er, sei eine spezielle KI entwickelt worden, die noch viel mehr Parameter und Erfahrungen aus der regenerativen Landwirtschaft zur Begutachtung der Böden heranziehe. Er hofft, dass sie von vielen Landwirten in Anspruch genommen wird, um deren Datensammlung stetig zu erweitern.

Unter Beobachtung: Der Boden im Gemüsegarten wird regelmäßig beäugt und gelegentlich auf seine Zusammensetzung kontrolliert. ade
All das deutet womöglich daraufhin, dass Jon konventionelle Landwirtschaft verteufelt. Doch weit gefehlt: Er bringt viel Verständnis dafür auf.
Landwirtschaft sei doch immer ein Streben nach Sicherheit. In früheren Zeiten, sagt er, seien die Menschen abhängig von Regen, Sonne und Wind gewesen. Mit dem Einzug von Pestiziden und synthetischen Düngern meinten sie, dem Wetter ein Schnippchen schlagen zu können. Mit der Folge, dass Schädlinge und Pflanzen resistent wurden, Grundwasser mit Nitrat belastet, Böden aus ihrem natürlichen Gleichgewicht gebracht.
Sich selbst wolle er mit seiner Art der regenerativen Landwirtschaft beweisen, dass es auch anders gehe. Das Credo dürfe nicht mehr sein „Was bringe ich heute mit Pestiziden, Fungiziden und Co. um“, sondern „Wie kann ich Pflanzen und Boden so lebendig machen, dass Schädlinge und Krankheiten keine Chance mehr haben“.
Oktober 2025
Beate Ney-Janßen