Eine Aufnahme aus den Anfangsjahren des Bergmannsvereins – von der Fahnenweihe im Jahr 1958. privat

Stadtgeschichte(n)

aus Rehburg-Loccum

Rehburger Bergleute - auch ohne Bergwerk

Rehburger Bergleute – auch ohne Bergwerk

Der eine ist Bergmann. Der andere nicht. In die Tracht der Bergleute werfen sich Mike Seele und Wolfgang Polacek trotzdem beide immer dann, wenn der Bergmannsverein „Glück Auf“ Rehburg-Stadt repräsentiert werden soll. Wie kommt das? Und wieso hat eine Stadt, in der es keinen Bergbau gibt, einen solchen - höchst regen – Verein?

Neulich beim Tscherpertreffen in Rehburgs Raths-Keller: Mike Seele (links) und Wolfgang Polacek. ade

Neulich beim Tscherpertreffen in Rehburgs Raths-Keller: Mike Seele (links) und Wolfgang Polacek. ade

100 Jahre sind vergangen, seit große Erwartungen an den Bergbau auch in Rehburg zerstört wurden: Am 22. Mai 1925 fand im Rehburger Raths-Keller die Zwangsversteigerung der Steinkohlenbergwerke Rehburg/Stadt AG statt. Mit ihr endete – reichlich jämmerlich - ein nur fünf Jahre währendes Kapitel.

Lediglich 2.750 Mark musste eine Rehburger Kauffrau auf den Tisch legen, um das Eigentum der Aktiengesellschaft zu erwerben. So gering dieser Preis war, so tief musste die Stadt Rehburg in den Jahren darauf in die Tasche greifen, da Stollen und Schacht des Unternehmens umfangreiche Sicherungsmaßnahmen erforderten. Zwischen Rehburg und Bad Rehburg, wo der Bergbau eigentlich hätte florieren sollen, kam es bis in die 1970er Jahre zu Einbrüchen von Stollen, die die Landwirtschaft schädigten.

Bergleute wollten in Rehburg sichtbar werden

1925 die große Pleite – und doch wurde Jahrzehnte später in Rehburg der Bergmannsverein gegründet. Der Grund ist nicht allzu schwer zu erraten: In Bokeloh fanden viele Rehburger Arbeit bei Kali und Salz. Mit Stolz verrichteten sie diese Arbeit – und wollten auch in ihrem Heimatstädtchen als Bergleute wahrgenommen werden. Also gründeten sie einen Verein.

Eine Aufnahme aus den Anfangsjahren des Bergmannsvereins – von der Fahnenweihe im Jahr 1958. privat

Eine Aufnahme aus den Anfangsjahren des Bergmannsvereins – von der Fahnenweihe im Jahr 1958. privat

 

Das war an und für sich keine neue Angelegenheit. Bergleute aus Münchehagen hatten bereits 1903 diesen Schritt vollzogen. Und so wie die Rehburger gründeten auch Loccumer 1956 einen eigenen Verein.

Der Loccumer Bergmannsverein ist mittlerweile aufgelöst worden, die Münchehäger Kumpel sind zwar immer noch organisiert, aber zu einem kleinen Haufen zusammengeschrumpft. Der Rehburger Verein hingegen wachse und gedeihe, erzählt dessen Vorsitzender Mike Seele.

 


Mitgliederwerbung beim Schützenfest

42 Mitglieder habe der Verein aktuell, berichtet Seele – und fiebert bereits dem nächsten Schützenfest in Rehburg entgegen, um diese Anzahl zu übertrumpfen.

Das sei die beste Gelegenheit im Jahr, sagt er mit breitem Grinsen. Beim Tag der Vereine – dem Schützenfest-Sonntag – glänzten sie beim Ausmarsch in ihrer schwarzen Tracht mit den goldenen Knöpfen. Erst komme er mit den Leuten ins Gespräch, am nächsten Tag ziehe er die Beitrittserklärung aus der Tasche. Das habe schon manche zu Bergleuten im Verein gemacht.

Ausmarsch beim Tag der Vereine zum Schützenfest in Rehburg – Wolfgang Polacek marschiert mit. Natürlich in Tracht. ade

Ausmarsch beim Tag der Vereine zum Schützenfest in Rehburg – Wolfgang Polacek marschiert mit. Natürlich in Tracht. ade

 

Dabei sein, sagt er, dürften alle. Niemand müsse Bergmann sein. Und auch Frauen seien willkommen. Letzteres gilt seit 1986. Dem waren jahrelange und teils hitzige Diskussionen vorangegangen. Die einen wollten Frauen dabei haben, um dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken. Die anderen beharrten auf der Tradition des reinen Männervereins. Letztlich siegte der Wille, den Verein möglichst zahlreich lebendig zu halten. Und die Frauen waren dabei.

 



Als Verwaltungsbeamter Bergmann geworden

Zwölf Jahre zuvor hatte Polacek einen ganz anderen Kampf ausgefochten. Er, der Verwaltungsbeamte, hatte beim Bergmannsverein Interesse signalisiert, an einer Veranstaltung des Landesverbandes der Vereinigung der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine in Niedersachsen – kurz VBN – in Braunschweig teilzunehmen. Acht Bergmänner hätten fahren dürfen, nicht alle Plätze waren belegt. So stellte Polacek den Antrag.

Meilenstein der Vereinsgeschichte: 1986 waren zur Hauptversammlung erstmals auch Frauen im Verein. privat

Meilenstein der Vereinsgeschichte: 1986 waren zur Hauptversammlung erstmals auch Frauen im Verein. privat

 

Und wieder war es das Rehburger Schützenfest, das die Diskussion zum Kochen brachte. „So nicht“, meinten einige. Einer, der kein Bergmann sei, könne nicht mitfahren. Polacek blieb ruhig und empfahl – sehr pragmatisch – einen Blick in die Satzung zu werfen. Das tat der Vorstand und stellte fest, dass tatsächlich nirgendwo ein aktives Bergmannsleben Voraussetzung für die Mitgliedschaft war.

 





Polacek: Aktiv selbst im Bundesvorstand

Das Ende dieses Liedes: Polacek trat in den Verein ein und fuhr mit nach Braunschweig. Ein echter Glücksfall für die Bergleute, wie sich in den Jahrzehnten darauf herauskristallisieren sollte: Wenige Jahre darauf übernahm er bereitwillig den wenig geliebten Posten des Protokollführers und wurde bald darauf gar Geschäftsführer der VBN – eine Aufgabe, die er bis heute ausfüllt, seit 36 Jahren. Und auch im Bundesvorstand der Bergleute ist er nicht mehr wegzudenken: Protokoll führt er dort seit 1992.

Traditionen werden hochgehalten: Mit Fahnen und Kopfbedeckungen wie hier beim Tscherpertreffen in Rehburg 2025. ade

Traditionen werden hochgehalten: Mit Fahnen und Kopfbedeckungen wie hier beim Tscherpertreffen in Rehburg 2025. ade

 

Was ihn dazu bewog, sich derart intensiv in etwas hineinzuknien, das gar nicht sein Metier ist, fasst er in wenigen Worten zusammen: Sein Vater sei Bergmann gewesen. Sein Bruder ebenso. So wuchs er mit deren Traditionen auf. Kameradschaft, gegenseitige Achtung und Unterstützung quer durch alle Hierarchien – das habe ihn schon immer fasziniert.

 





„Und Ruckzuck hatte ich den Posten weg“

Ganz anders ist der Werdegang von Mike Seele hin zum Vorsitz der Rehburger Bergleute. Mit 17 Jahren begann er seine Ausbildung zum Schlosser an der Schachtanlage Bokeloh, bald darauf ging er auch unter Tage. Da die Anlage stillgelegt wurde, ist sein Arbeitsplatz mittlerweile wieder über Tage – aber immer noch als Steiger.

 

Geselligkeit überall in der Republik: Der Rehburger Bergmannsverein während einer seiner Fahrten. privat

Geselligkeit überall in der Republik: Der Rehburger Bergmannsverein während einer seiner Fahrten. privat

 

Natürlich wurde der Rehburger Verein auf den jungen Bergmann aus seinem Städtchen aufmerksam und überzeugte ihn zum Beitritt. „Und Ruckzuck hatte ich den ersten Posten weg“, erzählt er lachend. Zunächst als Fahnenträger, dann als Schriftführer und schließlich als Vorsitzender.

„Die Geselligkeit ist einzigartig“, schwärmt er von dem Vereinsleben. Nie falle ein böses Wort. Was ihm außerdem gefällt: Mit dem Verein fahren sie zu Veranstaltungen „überall in der Republik“.

 


Mit Tscherper in den Bürgersaal

Im Gegenzug bekommen sie gerne Besuch – in schwarzer Kluft, mit Fahnen und Musik. Wie im Juni 2025, als die Vereine der VBN zum Tscherpertreffen den historischen Saal des Raths-Kellers füllten. Für die Bergleute aus ganz Niedersachsen war es bereits das vierte Mal, dass sie zu solch einem Event nach Rehburg fuhren.

Weshalb das kleine Rehburg? „Wir haben den Saal!“, sagt Polacek. Ein Saal, der groß genug sei und den traditionsbewussten Bergleuten gut zu Gesicht stehe. Es hat aber wohl auch etwas damit zu tun, dass dieser Bergmann aus Leidenschaft in den übergeordneten Gremien die Fahne seines Vereins hochhält.

Strenges Reglement: Zu Tscherpertreffen wird stets das Bergmannslied angestimmt. ade

Strenges Reglement: Zu Tscherpertreffen wird stets das Bergmannslied angestimmt. ade

Aber was ist ein Tscherper? Polacek klärt auf, dass es sich dabei um das Berufsmesser der Bergleute handelt: Ein feststehendes Messer, das unter Tage als Vielzweckwerkzeug dient. Und nicht nur das: Mit dem Tscherper würden sie auch das Essen zu sich nehmen – weswegen im Raths-Keller stets ein rustikales Mollenfrühstück auf der Speisekarte steht, zu dem alle Bergleute ihr eigenes Messer zücken. „Übern Daumen essen“ – so gehört es sich.

Und noch ein wenig Aufklärung über die Bergmannstraditionen bietet er an: Die schwarze Tracht dürfe bitte auf gar keinen Fall als Uniform bezeichnet werden. Im Slang der Bergleute heißt sie sehr schlicht und einfach Kittel.

 


Streng verboten: Weiße Socken!

So schlicht das Wort aber auch sei, so sehr achten die Bergleute auf korrekte Kleidung. „Weiße Socken gehen gar nicht!“, sagt Wolfgang Polacek – und Mike Seele zieht schuldbewusst den Kopf ein. Diesen Fauxpas hat er sich tatsächlich bei einem Schützenfest geleistet.

Das, beteuert er, passiere ihm nie wieder. Zur Abbitte habe er ordentlich einen ausgegeben. Den Bergleuten sei das nur recht gewesen, sagt Seele schmunzelnd. Denn schließlich sei der ständige Durst dieses Berufsstandes legendär.

Juli 2025
Beate Ney-Janßen