Mit Liebe gepflanzt: Herberts Eberesche. ade

Stadtgeschichte(n)

aus Rehburg-Loccum

Wenn der Tod zu Hause Wurzeln schlägt

Wenn der Tod zu Hause Wurzeln schlägt

Statt Friedhof Baumbestattung im eigenen Garten

Wohin nach dem Tod? Das ist eine Frage, die viele gerne meiden. Nicht so Familie Grill. Als Herbert Grill nur noch wenig Lebenszeit prognostiziert wurde, fasste sie den Plan, ihn im eigenen Garten zu bestatten – mit seiner Asche, eingebettet in die Wurzeln eines Baumes. Einen Beitrag über diese Beerdigung zeigt der NDR am Dienstag, 5. August, ab 18.45 Uhr im Magazin DAS.

Neuer Lieblingsplatz: Uta und Valerie Grill schauen auf den Baum, in dessen Wurzelwerk Herbert Grills Asche steckt. ade
Neuer Lieblingsplatz: Uta und Valerie Grill schauen auf den Baum, in dessen Wurzelwerk Herbert Grills Asche steckt. ade
Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit.
Prediger 3,1

83 Jahre lagen für Herbert Grill zwischen Geburt und Tod. Jahre mit seiner Frau Uta und seinen Kindern. Mit seiner Arbeit als Professor für Meeresbergbau. Zufrieden auf der Ostsee. Im Kanu, immer mit einer Zigarette im Mund. Mit diesem und jenem Umzug, zuletzt in die Wohnung, die er und Uta sich auf dem Resthof ihrer Tochter Valerie in Münchehagen ausbauten. Nah dran, wenn das Alter zuschlägt und Hilfe willkommen ist.

Gar so schnell hatten Uta und er nicht mit Krankheit und Tod gerechnet, hatten eigentlich noch viele gute Jahre einkalkuliert. Doch die Kopfschmerzen, wegen derer er im Juli 2024 einen Arzt konsultierte, entpuppten sich als Krebs. Metastasen im Hirn. Die Prognose der Ärzte: Drei Monate werde er noch zu leben haben.

Auf den Tag und die Minute genau drei Monate später tat er seinen letzten Atemzug. „Herbert war ein Pünktlichkeitsfanatiker“, sagt Valerie schmunzelnd. Die drei Monate dazwischen hat die Familie genutzt, um auf diesen Moment und das, was danach kam, vorbereitet zu sein.

Herbert will auf See

Irgendwer hatte Valerie davon erzählt. Von dieser neuen Möglichkeit der Bestattung unter einem Baum auf eigenem Grundstück. „Wie schön“, dachte sie damals, als es in ihrer Familie noch nicht ans Sterben ging. Und kramte die Idee wieder hervor, als feststand, dass aus dem Wissen um die Endlichkeit Ernst werden würde.

Etwas Überzeugungsarbeit war nötig, denn Herbert wollte eigentlich eine Seebestattung. Er, der Ostsee-Fan, stellte sich vor, dass er genau dorthin wieder kommen und so den Friedhof umgehen würde. Doch zur Ostsee ist es weit von Münchehagen. Die ganze Familie dorthin und auf ein Schiff bringen? Valerie intervenierte. Aus diesem praktischen Grund – aber auch, weil sie in diesem Danach nicht wirklich einen Ort haben würden, an dem sie ihn besuchen könnten. Außerdem erinnerte sich seine Familie zwar gerne an die Urlaube, die sie dort gemeinsam verbrachten, die große Liebe zur Ostsee hatte aber nur Herbert.

Baumbestattung – auf Umwegen

Valerie brachte die Alternative der Baumbestattung ins Spiel. Nicht auf einem Friedhof oder in einem Bestattungswald, sondern nah dran an ihnen allen. Das Konzept ist relativ neu und in Deutschland nur über einen Umweg möglich: Der Verstorbene wird eingeäschert, die Urne durch einen Bestatter in die Niederlande überführt. Dort wird auf die Asche ein junger Baum gesetzt.

In Deutschland besteht nahezu überall Friedhofszwang, so dass Bestattungen im eigenen Garten nicht erlaubt sind. Nicht verboten ist hingegen das Überführen der Urne in andere Länder – wo die Asche beispielsweise in den Niederlanden mit seiner in dieser Hinsicht weitaus liberaleren Gesetzgebung in die Baumwurzeln gepflanzt werden kann. Einen Baum nach Deutschland einzuführen – auch wenn sich in seinem Wurzelwerk menschliche Asche befindet – ist nicht verboten.

Für die jungen Bäume gilt unterdessen ebenfalls, dass alles seine Zeit hat: Der Baum wird in einem Gartenbaubetrieb einige Monate gepflegt. Geht es ihm gut und ist die passende Pflanzzeit, wird er zurück nach Deutschland gebracht – wo die Angehörigen ihn auf dem eigenen Grundstück in die Erde setzen können.

Ausblick gen Nordstern: Von dieser Terrasse hat Herbert den Nordstern beobachtet – nun haben Uta und Valerie von dort den Blick auf seinen Baum. ade
Ausblick gen Nordstern: Von dieser Terrasse hat Herbert den Nordstern beobachtet – nun haben Uta und Valerie von dort den Blick auf seinen Baum. ade

Der Nordstern leuchtet über dem Baum

Mit dieser Alternative freundete Herbert sich an. Er entschied sich für eine Vogelbeere und wählte auch einen bevorzugten Platz für seinen Baum aus: Ungefähr in jener Richtung, in der er - der Hobby-Astronom - von seiner Terrasse abends gerne den leuchtenden Nordstern beobachtet. So sollte es sein.

Einfach und leicht wie die Entscheidung für ein neues Sofa waren diese Gespräche nicht. Auch Familie Grill musste sich überwinden, um sich so offen wie möglich dem Unvermeidlichen zu stellen. Um über den Tod und das Danach zu reden. Die verbleibende Zeit so intensiv wie möglich zu nutzen.

Einfach war auch alles andere nicht. Nicht die Behandlung gegen den Krebs. Nicht die gelegentlichen Anflüge von Hoffnung, ob nicht doch noch alles wieder gut werden könne. Nicht die zunehmend notwendige Pflege Herberts, den die Familie während der ganzen Zeit zu Hause pflegte. Herausfordernd für alle.

83. Geburtstag: Noch einmal haben Herbert und Uta Grill miteinander gefeiert. privat
83. Geburtstag: Noch einmal haben Herbert und Uta Grill miteinander gefeiert. privat




Manchmal, so scheint es, schwang fast so etwas wie Trotz mit. Der Wille, es dem Tod noch einmal zu zeigen. Indem sie in diesen Monaten Feste feierten. Jetzt erst recht. Herberts 83. Geburtstag. Und die Diamantene Hochzeit von Herbert und Uta. Schöne Sommertage. Wichtige Tage, auch wenn im Hinterkopf immer der Tod anpochte.

Dass ihm doch kein Schnippchen mehr geschlagen werden konnte, war eigentlich allen klar. Und alle bereiteten sich darauf vor. Valerie, indem sie beim Bestattungsunternehmen im Dorf vorsprach und klärte, was denn für diese Bestattung im Baum getan werden müsse. Dort kannte man sich bereits aus. Eine große Erleichterung.

Kommt der Pastor fürs Vaterunser?

Eine weitere Frage, die sich stellte: Wie sollte die Trauerfeier aussehen? Für Herbert, der schon lange aus der Kirche ausgetreten war? Der es nicht so mit der Kirche hatte. Und dennoch ein Vaterunser zum Abgang haben wollte. Damit sei er schließlich auf die Welt gekommen. Und damit wolle er auch gehen, argumentierte er. Weswegen sie Münchehagens Pastor Sönke von Stemm zu sich nach Hause baten und fragten, ob er sich vorstellen könne, eine Zeremonie zu gestalten.

Unterstützt den Plan: Pastor Sönke von Stemm. ade
Unterstützt den Plan: Pastor Sönke von Stemm. ade

Von Stemm war bereit. Kam auf den Hof und redete mit Herbert. Gleich mehrfach. War bereit, die Friedhofskapelle für die Trauerfeier nach der Einäscherung zur Verfügung zu stellen und die Feier auch zu begleiten. Eine Feier mit christlichen und weltlichen Anklängen, vorgetragen von der Familie.

Schließlich war alles vorbereitet. Das meiste wohl gesagt. Dann ging es aufs Ende zu. Zu Hause, wie Herbert es sich gewünscht hatte.

Es folgte die Feier in der Kapelle. Die Familie ging. Der Bestatter kam, um die Urne in die Niederlande zu bringen. Ein schwerer Moment, sagt Valerie – ihren Vater nun zurückzulassen.

Herbst und Winter gingen ins Land. Ohne Herbert. Erst im Frühjahr kam seine Asche zurück – als Dünger der Vogelbeere, die er sich gewünscht hatte. „Es fühlte sich an, als sei er wieder da“, sagt Valerie.



Ein Beet, der Baum und Gäste, die während der Trauerfeier Blumenzwiebeln setzen: Die endgültige Bestattung von Herbert Grill ist zu einem Fest geworden. privat
Ein Beet, der Baum und Gäste, die während der Trauerfeier Blumenzwiebeln setzen: Die endgültige Bestattung von Herbert Grill ist zu einem Fest geworden. privat


Und wieder hieß es warten. Nun auf den Tag, an dem der Baum gepflanzt werden sollte. Natürlich mit einer Feier. Natürlich auch mit dem Pastor, der gerne zusagte. Mit Familie, mit Freunden. Und auch einem Fernsehteam vom NDR – weil diese Art der Bestattung vielen noch neu ist.

„Die Kameraleute hatten ganz schön viel zu verdauen“, erinnert sich Valerie. Tieftraurige Stimmung hatten sie erwartet. Stattdessen gab es ein Ständchen für ein Geburtstagskind in der Runde.

Danach kam der Baum aus seinem Topf in den Boden, wurden Ansprachen gehalten, Samen und Zwiebeln in das Beet ringsherum gesetzt und gefeiert. Mittendrin: Herbert. Ihren Beitrag an dem Baum kann Uta immer noch frei rezitieren:


Wenn Engel einsam sind
in ihren Kreisen,
dann gehen sie von Zeit
zu Zeit auf Reisen.
Sie suchen auf der ganzen Welt
nach ihresgleichen,
nach Engeln, die in Menschgestalt
durchs Leben streichen.
Sie nehmen diese mit
zu sich nach Haus –
für uns sieht dies Verschwinden
dann wie Sterben aus.
Renate Eggert-Schwarten
Mit Liebe gepflanzt: Herberts Eberesche. ade
Mit Liebe gepflanzt: Herberts Eberesche. ade

Nur drei Tage später, erzählt Valerie, hatte das Beet einen grünen Flaum – der mittlerweile zu einem blühenden Rondell geworden ist. Die Bänke hinter dem Baum sind längst zu einem Lieblingsplatz im Garten geworden.

„Manche fragen uns, ob wir denn keine Angst haben, dass der Baum eingeht“, sagt Valerie. Sie hofft sehr, dass er wachsen und alt werden wird. Aber wenn es so käme, sei es doch auch nur natürlich. „Dann machen wir aus dem Holz eben einen Gehstock oder ein Tischbein. Und Herbert ist immer noch bei uns!“

Ein Baum für Uta neben Herbert

Lieber wachsen sehen möchte auch Uta den Baum. Auch, weil sie ebenso wie ihr Mann bestattet werden möchte. Den Platz hat sie sich schon ausgesucht: Drei, vier Meter von ihrem Herbert entfernt, soll ihr Baum gepflanzt werden.

Sind ihrer beider Bäume groß und stark genug, wird eine Hängematte dazwischen gespannt. Dieses Versprechen hat Uta ihrer Tochter abgenommen. Nicht irgendeine Hängematte, sondern jene, die vor Jahrzehnten an der Ostsee in Dänemark als Strandgut zu ihnen kam: Ein altes Fischernetz, das sie umbauten.

Noch schaukelt Uta zwischen zwei anderen Bäumen. Durch sie irgendwann mit ihrem Mann wieder verbunden zu sein – das fühlt sich für sie gut an. Mit dieser Aussicht kann sie leichter mit ihrer eigenen Endlichkeit umgehen.

Zukunftsmusik: Die Hängematte soll einmal das verbindende Glied zwischen den Bäumen von Herbert und Uta werden. ade
Zukunftsmusik: Die Hängematte soll einmal das verbindende Glied zwischen den Bäumen von Herbert und Uta werden. ade

August 2025
Beate Ney-Janßen