Ein Gespräch über neue Wege der Trauerkultur
Die Idee eines Bestattungswaldes bewegt Rat und Verwaltung in Rehburg-Loccum – und sie wirft Fragen auf. Ist ein solcher Ort eine notwendige Ergänzung zur bestehenden Friedhofskultur oder nur ein Trend? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir mit Bernd Sandmann und Sönke von Stemm zwei Rehburg-Loccumer zum Interview gebeten, die – wie wir meinten – klare Positionen vertreten. Bernd Sandmann als Verfechter einer Ergänzung der Bestattungskultur und als derjenige, der den Vorschlag als Mitglied des Rates der Stadt in die Gremien getragen hat. Und Sönke von Stemm, Pastor in Münchehagen, der die Ansicht vertritt, dass es genügt, Bestattungen unter Bäumen direkt auf den bestehenden Friedhöfen anzubieten.
Im Gespräch zeigte sich, dass beide auch anderen Positionen durchaus zugetan sind – und sie noch weitaus mehr Möglichkeiten, Chancen und Notwendigkeiten rund um das Thema Friedhöfe sehen.

Zwei Positionen: Bernd Sandmann (links) und Sönke von Stemm. ade
Herr Sandmann, was war der Auslöser für Ihre Initiative?
Sandmann: Eine Beerdigung im Ruheforst in Marklohe. Ich war sofort berührt von der Atmosphäre. Der Ort mitten im Wald, die Zeremonie mit einer freien Rednerin, die sehr persönlich vom Leben des Verstorbenen sprach – das war ganz anders, als ich es kannte. Es war würdevoll, nahbar und weniger bedrückend als traditionelle Bestattungen. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe das Thema dann zunächst in Winzlars Ortsrat eingebracht.
Was genau hat Sie so beeindruckt?
Sandmann: Vor allem der Ort. Ich liebe Wald, diese Ruhe, das Natürliche. Was in Marklohe allerdings ein Problem ist: die fehlende Barrierefreiheit. Menschen mit Rollator kommen dort kaum hin. Wenn wir in Rehburg-Loccum einen solchen Ort schaffen, dann bitte so, dass auch ältere Menschen ihn erreichen können. Denn was bringt ein Grab, das niemand besuchen kann?
„Barrierefreiheit ist wichtig.“
Bernd Sandmann
von Stemm: Das sehe ich genauso. In Münchehagen versuchen wir, das auch mit Kleinigkeiten zu gewährleisten. Wie dem Rollator, der neben der Friedhofsmauer steht und von allen Besuchern genutzt werden kann. In einem Bestattungswald kann das oft eine große Schwierigkeit sein.
Das macht der Rollator an der Friedhofsmauer Wer den Friedhof in Münchehagen betritt und gleich um die Ecke schaut, entdeckt dort seit einiger Zeit einen Rollator. Ein kleiner Zettel am Korb verrät den Zweck: Dieses Gefährt darf von allen genutzt werden, denen die Wege zwischen den Gräbern zu beschwerlich sind. Eigentümerin: die Kirchengemeinde. Eine, die das Angebot gerne nutzt, ist Marie-Luise Schmidtke. „Die Beine machen nicht mehr so mit“, sagt die 89-Jährige, setzt sich auf den Sitz und atmet kurz durch. Den Friedhof besucht sie regelmäßig – um sich zu erinnern, aber auch, um Bekannte zu treffen. Denn: Ein Friedhof ist auch ein Ort der Begegnung. Mit dem Auto kommt sie gut bis zum Eingang. Doch als das Gehen schwerer fiel und sie sich einen Rollator anschaffte, begann das eigentliche Problem: Wie sollte sie es alleine schaffen, das schwere Gerät aus dem Kofferraum zu heben? Die rettende Idee hatte ihre Nichte Sandra Villeroy: Warum nicht einfach einen ausgedienten Rollator am Friedhof deponieren? Vom Auto bis zum Tor konnte ihre Tante noch gut zu Fuß gehen – von dort an war sie sicher unterwegs. Doch Sandra Villeroy dachte noch weiter. Wenn der Rollator schon da ist – warum ihn nicht allen zugänglich machen? Schließlich war klar: Marie-Luise Schmidtke ist nicht die Einzige mit diesem Problem. Nur: Den erklärenden Zettel hatte ihre Nichte vergessen anzubringen... „... und plötzlich war er weg“, erzählt sie. Pastor Sönke von Stemm hatte angenommen, jemand habe das Gefährt achtlos stehen gelassen – und so wurde es vom Friedhofsgärtner entsorgt. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte: Dem Pastor gefiel die Idee so gut, dass er kurzerhand einen neuen Rollator organisierte. Dieses Mal mit Schild – und einem festen Platz an der Friedhofsmauer. Nicht nur Marie-Luise Schmidtke hat damit ein Stück Freiheit zurückgewonnen. |
Herr von Stemm, als Seelsorger begleiten Sie viele Beerdigungen. Was halten Sie von der Idee eines Bestattungswaldes?
von Stemm: Ich frage mich, ob wir dafür einen Wald brauchen – oder ob es nicht reicht, unsere bestehenden Friedhöfe weiterzuentwickeln. In Münchehagen haben wir vor zehn Jahren damit begonnen, Bäume auf dem Friedhof zu pflanzen – mittlerweile sind sie ziemlich groß geworden und schaffen genau diese Atmosphäre. Wir bestatten auch unter diesen Bäumen. Die Meinungen in der Kirchengemeinde gingen aber ziemlich weit auseinander, als wir die Bäume zur Diskussion stellten.
„Genügt es nicht, unsere bestehenden Friedhöfe weiterzuentwickeln?“
Sönke von Stemm
Geht es also nicht um einen Bestattungswald, sondern um neue Formen?
von Stemm: Genau. Ich finde es wichtig, dass sich unsere Friedhofskultur verändert – mit ihr auch die Rituale und Möglichkeiten. Viele wünschen sich heute eine individuellere Form des Abschieds. Dazu gehören freie Redner, andere Musik, persönliche Gestaltungen. Die Kirche verändert sich in dieser Hinsicht auch – weg von starren Vorgaben hin zu mehr Freiheit.
Sandmann: Diese Freiheit halte ich für zentral. In meiner katholischen Kindheit war der Tod stark ritualisiert – ohne viel Bezug zum individuellen Leben. Die Beisetzung in Marklohe war ganz anders. Eine lockere Stimmung, nicht so bedrückend. Aber trotzdem mit Raum für Trauer. Das hat mir gefallen.
Gleichzeitig sehe ich aber auch: Kommerzielle Anbieter sind nicht unbedingt notwendig, wenn wir solch ein Projekt umsetzen wollen. Es könnte eine gemeinschaftliche Aufgabe sein – von Stadt und Kirche.
Haben Sie konkrete Flächen im Blick, die in Frage kommen könnten?
Sandmann: Es gab Gespräche mit der Forstinteressentengemeinschaft Winzlar, die große Waldflächen auch in den Rehburger Bergen besitzt. Anfangs war man dort strikt dagegen – zehn Hektar stilllegen und aus der Forstwirtschaft herausnehmen, kam für sie nicht in Frage.
Etwas anders sah es aus, nachdem im Mai eine Gruppe aus Rat, Verwaltung und Kirchengemeinden den Waldfriedhof in Liebenau besucht hat. Eberhard Mysegades, der als Vertreter der Kapellengemeinde Winzlar dabei war und auch Vorsitzender der Forstinteressenten ist, sagte plötzlich: „Wir sollten mal schauen, welche Flächen sich vielleicht eignen.“ Das hat mich überrascht – zeigt aber, dass sich Positionen bewegen können.
Mehr zum Besuch des Waldfriedhofs in Liebenau finden Sie hier: https://www.rehburg-loccum.de/aktuelles/bestattungswald/
von Stemm: Und ehrlich gesagt – zehn Hektar brauchen wir gar nicht. In Loccum haben wir etwa 50 Bestattungen im Jahr, in Münchehagen 30. Wenn man die Zahlen zusammenrechnet, ist der Bedarf überschaubar.
Sandmann: Deshalb fände ich auch einen „wachsenden Friedwald“ sinnvoll. Wir könnten auf bestehenden Friedhöfen Bäume pflanzen, Schritt für Schritt. Kein kommerzielles Konzept, sondern eine natürliche Entwicklung. Das wäre eine echte Ergänzung zur bestehenden Friedhofskultur. Eignen könnte sich der Friedhof in Bad Rehburg – der Einzige in Rehburg-Loccum, der nicht in der Verantwortung der Kirchengemeinden, sondern der Stadt liegt.
Und wenn ich mir diesen Friedhof so ansehe, ist es dringend notwendig, dass ein neues Konzept erstellt wird: Vereinzelte Gräber auf weiten Rasenflächen und ein immenser Pflegeaufwand für den städtischen Bauhof. Sargbestattungen sind dort seit bald 20 Jahren wegen der schwierigen Bodenverhältnisse ohnehin kaum noch möglich.

Viel Fläche, wenig Nutzung: Der städtische Friedhof in Bad Rehburg. ade
Wie steht es um die Vielfalt der Bestattungskulturen?
von Stemm: Auch das ist mir ein großes Anliegen. Wir haben in Rehburg-Loccum viele Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen – Muslime, Jesiden, Aleviten. Es ist wichtig, dass auch sie sich bei uns zuhause fühlen. Warum nicht ein Feld für muslimische Bestattungen anbieten, mit Tuchbestattung, wenn das der Wunsch ist? Es geht doch darum, dass alle Menschen in Würde Abschied nehmen können – nach ihren Vorstellungen und egal, welcher Kultur oder Religion sie angehören.
Sandmann: Das kann ich nur unterstützen. Es gibt doch schon gute Beispiele, wie etwa auf dem Waldfriedhof in Liebenau. Dort gibt es Plätze mit und ohne Kreuz – damit jede:r frei entscheiden kann, wie der Abschied aussehen soll.
von Stemm: Genau. Das Kreuz ist eine Herausforderung für manche Kulturen und manche Menschen. Es muss möglich sein, dass alle sich dort zu Hause fühlen, auch dann, wenn sie nichts mit christlicher Kirche zu tun haben.
Herr Sandmann, Sie als Initiator der Diskussion: Wie wünschen Sie sich ihre Bestattung?
Sandmann: Für mich persönlich wäre ein Baum auf meinem eigenen Grundstück der schönste Ort, an dem ich bestattet werden könnte. Aber das ist in Deutschland kaum möglich – oder nur mit rechtlichen Umwegen über Holland. Ich finde, die Gesetzgebung müsste auch für solche Ansinnen wesentlich offener werden.
Worauf kommt es jetzt an?
Sandmann: Wir sollten ins Gespräch kommen – Stadt, Kirche, Kloster, Forstinteressenten. Und es sollten auf jeden Fall auch Vertreter der türkisch-islamischen Gemeinde eingeladen werden, sich an solch einem Prozess zu beteiligen. Damit wir erfahren, worauf es den Menschen ankommt. Nur so entsteht etwas, das allen gerecht wird. Ich bin gerne bereit, diese Gespräche anzustoßen.
von Stemm: Das unterstütze ich sofort. Kein „entweder Bestattungswald oder gar nicht“. Sondern ein gemeinsamer, offener Blick mit allen, die es angeht, auf das, was unsere Gemeinschaft braucht.
Fazit:
Ein Bestattungswald? Vielleicht. Aber vor allem braucht es Offenheit und Vielfalt gegenüber vielen Wegen des Abschiednehmens. Die Diskussion bietet die Chance, über das Wesentliche zu sprechen: Was hilft Menschen beim Trauern? Wo und wie möchten wir selbst bestattet werden? Und wie können wir das gemeinsam gestalten?