Eine Collage aus Portraits engagierter Bürger

Wir sind Rehburg-Loccum:

Loccum - mehr als nur Kloster

Loccum

Dorf mit Kloster - Loccum

Heinrich auf einer Bank vor dem Kloster

„Löccer Norichten!“ – Wenn Heinrich mit seinem Ruf von den Loccumer Nachrichten durch das Dorf geht, merken alle auf. Was er wohl wieder aufgeschnappt und mitgeteilt bekommen hat? Zuverlässig, lauthals und schneller als jede Zeitung hat Pingelkeerl Heinrich früher dafür gesorgt, dass alle im Dorf Bescheid wussten. Wichtigkeiten und Nichtigkeiten hat er verbreitet: Ein neues Kind ist geboren? Der Ortsrat hat einen Beschluss gefasst? Klatsch und Tratsch aus dem Kloster, den er beim Nickerchen auf der Bank mit der Kirche im Rücken aufgeschnappt hat?

 


 

Skyline des Klosters

Kirche, Kloster und eine Bank. Da kommen Heinrich ziemlich viele Dinge in den Kopf. Doch er zügelt sich und geht an den Anfang. Genauer gesagt ins Jahr 1163 als zwölf Mönche und ein Abt aus dem thüringischen Volkenroda aufbrachen, um Land urbar zu machen, das ihr Orden geschenkt bekommen hatte. Land bei Loccum, das damals noch eine sumpfige Angelegenheit war. Doch die Mönche waren pfiffig, leiteten das Wasser in geregelte Bahnen, bauten eine Kirche, setzten eine Mauer drumherum und lebten zu vielen Zeiten in bester Eintracht und nicht gerade geringem Wohlstand.

 


 

Heinrich vor Priors Garten

„Das mit der Wasserwirtschaft“, sagt Heinrich, „das könnt ihr heute noch sehen.“ Leicht ächzend erhebt er sich von der Bank, bringt seine Holzschuhe in Fahrt und marschiert stracks auf den Klosterforst zu. Unterwegs wirft er seinen Gästen einzelne Brocken vor die Füße. „Der Elephant“, ruft er, zeigt mit dem Daumen nach rechts und bimmelt einmal mit seiner Glocke.
Elephant – so wird in Loccum die alte Zehntscheune genannt. Riesig und grau ist sie. Wie ein Elefant. Beim Stichwort „Zehnt“ kommt Heinrich in Fahrt. Ja, ja – der zehnte Teil der Ernte, den die Bauern an das Kloster abgeben mussten, wurde dort gelagert. „Der Zehnt war manchmal sogar ein Viertel von allem“, ereifert sich der Pingelkeerl. Dann war der Elephant voll, die Mönche waren satt und zufrieden. Nur die Bauern und Tagelöhner im Umkreis, die mussten darben. 

Gut, dass es den Zehnt nicht mehr gibt, sagt er. Obwohl er sich nicht sicher ist, ob die Steuern heutzutage wirklich gerecht sind.

 

Buschwindröschen

Zur linken Seite schaut Heinrich selbst noch etwas neugierig und wedelt mit seiner Mütze. Gar so lange ist es nicht her, dass die neue Bibliothek ans Kloster gebaut wurde, und auch Priors Garten hat ein vollkommen neues Aussehen bekommen. Er kennt und weiß aber, dass diese Bibliothek für die Vikare im Predigerseminar gebaut wurde. Predigerseminar? „Ja“, sagt Heinrich und lässt seine Brust angesichts seines Kenntnisreichtums schwellen, „dort werden seit 200 Jahren Leute zu Pastoren ausgebildet.“
In Niedersachsen ist es die einzige Ausbildungsstätte dieser Art. Vikare aus fünf Landeskirchen kommen hierher. Sie sind auch ein guter Grund für die Landeskirche gewesen, mehr als 30 Millionen Euro für Bauarbeiten auszugeben. Für die Bibliothek und ein Gästehaus. Und dann noch für Sanierungen im alten Konventshaus. „Oh, oh, wenn der Chef der Prediger gewusst hätte, dass seine Toilette nur an einem seidenen Faden hängt…“, sagt Heinrich und grinst breit. Er hat während der Bauzeit genau beobachtet, was sich hinter der Fassade versteckte. Über solche alten Bausünden kann Heinrich nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Das Beten, meint er, habe aber wohl geholfen. Weder ist der Studiendirektor auf dem Klo durch die Decke gerasselt, noch sind andere Bauteile zusammengebrochen. „Aber viel hätte nicht gefehlt“, ist sich Heinrich sicher. Dass nun alles wieder in Ordnung ist, beruhigt ihn ziemlich. Und mit ihm alle Loccumer. Denn auf ihr Kloster lassen sie nichts kommen.
„Aber jetzt ab zur Wasserwirtschaft.“ Heinrich kommt wieder auf den Punkt und geht durch ein kleines Tor in der Mauer. „Hier sind wir im Paradies“, verkündet er. Ein Paradies mit Buschwindröschen. Der Waldboden leuchtet weiß, glitzert nahezu im Sonnenschein. Deshalb heißt dieses Waldstück allerdings nicht Paradies. „Um 1900 ergingen sich hier die Vikare auf schmalen Pfaden und unter exotischen Pflanzen“, erläutert Heinrich. An diesem Ort bricht sich seine poetische Ader stets Bahn…

 

Heinrich der die Treppe hinuntergeht in seinen Holzschuhen

Nahezu poetisch klingt auch das Klappern seiner Holzschuhe auf den unebenen Steinstufen, die er nun heruntergeht. Am Paradies vorbei und direkt zum Backteich, wo er von lautem Entengeschnatter begrüßt wird.
Im Sommer schwimmen Seerosen auf des Backteichs Oberfläche und nach strengem Frost im Winter eilen nicht nur Loccumer dorthin, um sich Schlittschuhe unterzuschnallen. Dass dieser Teich zu den ersten Arbeiten gehört, den die Mönche samt Abt vor mehr als 850 Jahren in Angriff genommen haben, macht sich kaum jemand bewusst.



Brauteich

Heinrich marschiert zielstrebig zu einem Holzkasten am Teichrand, weist darauf und sagt bedeutungsschwer: „Der Mönch!“
Die Erklärung folgt auf dem Fuß: Ein Mönch ist eine Einrichtung zur Regulierung der Wasserstände. Seinen Namen hat er vermutlich bekommen, weil es Mönche waren, die das System erdachten. Teich, Bäche, trockenes Land und ausreichend Wasser zur Bewirtschaftung. Überall, sagt Heinrich, sind die Spuren der ersten Mönche noch zu sehen. „Und dafür“, fügt er hinzu, „soll Loccum das Europäische Kulturerbe-Siegel bekommen!“ Etwas leiser hängt er an, dass dieses Siegel von insgesamt 17 Kommunen beantragt worden ist, die eines eint: Auf ihrem Grund und Boden gab es einmal ein Zisterzienserkloster. Wie in Loccum.

 

Heinrich seitlich des Pilgerhauses

„Aber jetzt mal raus aus dem Kloster“, ruft Heinrich in die Runde und marschiert voran. Nur noch ein, zwei Sachen will er loswerden. Am Brauteich den Hinweis auf das Pilgerhaus. Weil doch der Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda auf Klostergelände beginnt. Evangelisches Pilgern! „Ja, das geht“, erläutert Heinrich. Der alte Luther habe das zwar als Narrenwerk abgetan. Aber irgendwie habe die Landeskirche einen Dreh gefunden, um nun auch Protestanten mit den Füßen beten zu lassen. Auf herrlichen Pfaden, wie Heinrich aus eigener Erfahrung weiß. Und mit der Chance, karg, aber gemütlich in der Herberge zu nächtigen.
Dann aber, dann geht es zum Tor heraus und auf kommunalen Boden. Der eröffnet sich an der Loccumer Oberschule. Die früher einmal – Wundert es wen? – auf Klostergelände war. Mehr als 50 Jahre sind seitdem vergangen. Die erfolgreiche Ausbildung tausender Schüler hat die Stadt Rehburg-Loccum um 2010 mit einer neuen Sporthalle belohnt. Weshalb Heinrich das erzählt? Vielleicht, weil er selbst von dieser Halle profitiert.
Genau – wer steckt denn überhaupt hinter dem Pingelkeerl Heinrich?
Die Tradition des Pingelkeerls, der für die Verbreitung von Nachrichten im Dorf zuständig war, ist irgendwann von Zeitungen und Internet abgelöst worden. Weil es aber so schön war, hat Rehburg-Loccum ihn wieder aufleben lassen. Als Gästeführer. Zu den Zeiten, in denen der Heinrich nicht in dieser Funktion unterwegs ist, hört er auf den Namen Michael Stahlhut, ist eingeborener Loccumer, dem es in seinem Dorf gefällt, leitet mal eben so den großen Sportverein Loccums, den TSV, und ist auch ansonsten mitten drin im Dorfleben.

 

Der Ortsrat maschierend auf den Dorffest

Deshalb also sein dezenter Hinweis! Weil er den Sportverein leitet! An Sporthalle und Sportplatz hat er aber auch noch mehr gute Erinnerungen. Wie die an die Dorf- und Erntefeste an diesem Ort. Darauf, beim Dorffest den Vogel abzuschießen, wartet Heinrich bislang noch vergeblich. Dabei würde das so gut passen. „Wegen Uhlenbusch und so..“, sinniert er, schiebt sich die Mütze in den Nacken, denkt kurz nach und legt dann los. Von dieser Fernsehserie aus den 1970ern. Neues aus Uhlenbusch. Die war das, was sich damals ein Straßenfeger nannte, war in Loccum ersonnen, dort auch gedreht worden und viele Loccumer haben ihre ersten Fernsehrollen bekommen.
Heinrichs liebste Serienfolge ist die vom Schützenfest. Bei dem nur die reichen Leute den Königsadler abschießen durften. Und Uhlenbuschs Kinder dann doch dafür sorgten, dass der beste und nicht der reichste Schütze siegte. Sozialkritik at it’s best.
Wer in Loccum wachen Auges nach Uhlenbusch sucht, wird heute noch fündig.

 

Hotel Rodes

Und dann klappert Heinrich ab ins Dorf. Vorbei an Rodes Hotel, das vor mehr als 400 Jahre gegründet wurde, weil ein Abt eine Liaison mit einer schönen Loccumerin hatte, und in dem schon Wilhelm Busch sich oft zum gepflegten Bier niederließ. Die Idee für seinen frechen Raben Hans Huckebein soll ihm genau dort gekommen sein.
Husch – da düst auch noch der Bürgerbus an Heinrich vorbei. Der Fahrer winkt ihm freundlich zu. Der Bürgerbus, erzählt er, verbindet alle Ortsteile Rehburg-Loccums und wird ausschließlich ehrenamtlich betrieben. Und sei außerdem die „Mutter aller Bürgerbusse“. Die Rehburg-Loccumer waren die ersten, die sich an dieses Konzept wagten. Nicht selten kommt es vor, dass andere Kommunen sich beim Bürgerbus-Verein Rat suchen, wenn auch sie meinen, dass ihr öffentlicher Perso                                                                                                                                                   nennahverkehr dringend ausgebaut werden müsse.

 

Food Teiler

Weil Heinrich sich jetzt schon Fransen an die Backe gesabbelt hat, huscht er noch schnell um die Ecke ins Gemeindehaus. Da steht der FoodTeiler – ein anderes ehrenamtliches Projekt, das sich gegen Lebensmittelverschwendung wendet. Jeder darf sich bedienen von dem, was dort liegt. Heinrich hat Glück: Mit einem Milchdrink kommt er wieder heraus.
Die Bank auf der Rasenfläche vorm Marktplatz kommt ihm gerade recht für seine Pause. Die Bank? Oh, die muss der VuVVL gerade wieder aufgestellt haben.
VuVVL? „Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Loccum“, erklärt Heinrich geduldig. Zum Frühjahr rückt dessen Truppe Dutzenden von Bänken mit Schleifmaschine und Pinsel auf die Pelle, um sie dann in und um Loccum in die Landschaft zu stellen. So auch die Bank, auf der Heinrich nun ruht. „Ihr solltet im Winter mal in Bäcker Wiegrebes Scheune gucken“, rät er lachend. Das lohne sich nicht nur für den Anblick der vielen Bänke, sondern auch, weil der ehemalige Klosterbäcker für jeden einen lockeren Spruch übrig habe. Wer im Gespräch mit ihm nicht lacht, hat keinen Humor. 


Bank am Teich

Vom Ehrenamt kommt Heinrich ein weiteres Mal auf das Kloster – oder vielmehr die Rolle der Kirche in Loccum zu sprechen. „Manchmal meine ich, dass jeder zweite, dem ich hier begegne, Pastor ist“, sagt er schmunzelnd.
Das liege aber nicht nur an den Vikaren aus dem Kloster, sondern auch an der vielen kirchlichen Bildung. Wie der von der Evangelischen Akademie und dem Religionspädagogischen Institut, die mit dem Kloster auf einem großen Campus sind.
Keine Seltenheit, wenn dort berühmte Referenten antreten. Helmut Schmidt wurde schon gesichtet. Angela Merkel ebenso. „Das Fenster der Kirche in die Gesellschaft“, doziert Heinrich. Das sei der Auftrag der Akademie. „Jede Menge kluge Gedanken“, fügt er hinzu.
Davon gebe es auch nicht wenige in Loccums Denkhaus. „Dafür müsst ihr aber aus Loccum herausfahren“, sagt er. Auf halber Höhe zwischen Loccum und Rehburg liegt es. Mitten im Grünen wird dort gedacht – und auch getan. Mit einer bunten Mischung von Seminaren für alle Generationen und viele Bedürfnisse.

 

Zwei Männer beim Footgolf

Noch mehr Entspannung gebe es dort auf dem Golfplatz. 18 Löcher auf dem  Golfplatz, Schafe, die die Randflächen kurz halten, die Rehburger Berge im Hintergrund. Was für ein herrliches Fleckchen! Als Pingelkeerl Heinrich nutzt er diese Aus- und Ansichten nicht, wohl aber ganz zivil als Michael Stahlhut. Obwohl ihm ja Fußball wesentlich mehr liegt als Golf. Doch dafür gibt es ja bald das neue Footgolf-Feld.




Eine Kerze in der Kirche

Dann tönt das 6 Uhr-Läuten vom Dachreiter herunter und Heinrich hat es plötzlich eilig. „Mal eben zur Hora“, ruft er noch über die Schulter. Die Hora, das Stundengebet, zu dem das Kloster täglich, 18 Uhr, einlädt. Wer in Loccum ist, sollte sich diese 20 Minuten nicht entgehen lassen. Wo sonst gibt es die Gelegenheit, im alten Chorgestühl des Altarraums zu sitzen und einer Stille zu lauschen, die vor mehr als 850 Jahren geschaffen wurde?