Eine Collage aus Portraits engagierter Bürger

Wir sind Rehburg-Loccum:

Münchehagen - Ortsteil mit überraschender Tradition

Münchehagen

Seefahrer-Dorf mit Dinosauriern - Münchehagen

Hund Mathilde in der Sonne

Seemannsgarn mitten auf dem platten Land, gut drei Autostunden von der Nordsee entfernt? Das gibt es in Münchehagen. Und zwar aus gutem Grund.
Minchen kann eine Menge Seemannsgarn vom Stapel lassen. Minchen, die eigentlich Sigrid Bullmahn heißt, als Gästeführerin aber unter diesem Kosenamen Neugierige für die beschauliche Idylle ihres Heimatdorfes interessiert. Zu ihrer Ausrüstung gehören das Fischerhemd, der Elbsegler und jede Menge Wissen um Geschichte und Gegenwart Münchehagens. Mit dabei ist oft auch Hündin Mathilde. Denn schließlich ist die Geschichte Münchehagens so tierisch wie die kaum eines anderen Orte.

 

Kind umarmt ein Bein eines Dinos

Tierisch? Dann sind wir schon mitten in der Urzeit. In grauer Vorzeit, in der das Land ringsum noch eine sandige Seenlandschaft war und Dinosaurier im feuchten Grund Spuren hinterließen. Manche beim friedlichen Äsen, andere auf blutigen Raubzügen.
„Die ältesten Niedersachsen kommen aus Münchehagen!“, wirft Minchen im Brustton der Überzeugung in die Runde. Dass nebenan im ehemaligen Steinbruch heute der Dinopark Menschenmassen anlockt, darauf muss sie nicht hinweisen. Der ist schließlich weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
Dass dieser Dinopark aber mehr zu bieten hat, als einen spannenden Tag für Kinder zwischen Dinos auf dem Rundweg – das weiß nicht jeder. Forschung und Wissenschaft geben sich dort die Klinke in die Hand, Paläontologen legen Überreste von Dinosauriern frei, neue Erkenntnisse setzen sie in 3D und Originalgröße um. Auf den bewaldeten Pfaden im Freizeitpark überrascht in jedem Jahr nach der Winterpause hier und da ein neuer Dino selbst ständige Besucher.
Hinzu kommen die Originalfährten im Park. Wo sonst lässt es sich wohl auf Spuren wandeln, die vor Millionen Jahren entstanden sind? Völlig unzweifelhaft: Der Dinopark ist die Attraktion Nummer 1 in Münchehagen!

 

Eine Mutter mit ihrem Kind beim Erntefest

„Aber nicht die einzige“, sagt Minchen lachend und weist mit dem Daumen hinter sich. „100 Meter Wasserrutsche in unserem Freizeitbad!“, ruft sie begeistert aus. Im Sommer drängeln sich Junge und Junggebliebene auf der Wendeltreppe hoch zur Rutsche - und bekommen dabei einen Überblick übers Dorf.
Einmal über den Fußballplatz geschaut, sehen sie auf das Bildungshaus. Grundschule und Kita leben dort einträchtig unter einem Dach. Ein Konzept, das Rehburg-Loccum zu den Preisträgern des Deutschen Kita-Preises gemacht hat.
Minchen wirft diese Stichwörter mal eben so in die Runde, um dann auf den Punkt zu kommen. Ihren Punkt: Gäste durchs Dorf führen. Der Brunnen an der Schulstraße ist ein guter Anknüpfungspunkt, denn seine fünf Stelen symbolisieren die fünf Säulen des Ortes. Das, worauf Münchehagen gebaut ist. Eine Säule sind die Dinofährten, eine weitere die Landwirtschaft.
Eigentlich ist diese Landwirtschaft sogar der Ursprung des Dorfes, da die Gründung von Mönkehagen, wie es in alten Urkunden genannt wird, auf das Kloster Loccum zurückgeht. Der Hagen der Mönche. Sie waren es, die die Wälder rodeten und das Land urbar machten. „Mal abgesehen von den Dinosauriern“, wirft Minchen kichernd ein. Obwohl sie arg bezweifelt, dass die Riesen der Urzeit auf anderes als „fressen und nicht gefressen werden“ aus waren.
Landwirtschaft also. Das äußert sich heute mitten im Dorf kaum noch in Bauernhöfen. Wirklich bäuerlich wird es aber immer dann, wenn der Dörpverein zum Treckertreffen einlädt oder geschmückte Wagen zum Erntefest durch die Straßen tuckern.
Der Dörpverein kann aber noch mehr. Theater spielen zum Beispiel. Oder Chroniken schreiben. Den Leuten das Grüngut kleinschnipseln, seit Brenntage nicht mehr erlaubt sind. Oder Feste an der Schwarzen Brücke ausrichten. Zupackend, ideenreich und hilfsbereit. „Oh, Mensch“, sagt Minchen, „mit denen haben wir schon manches mitgemacht.“ Lacht – und geht weiter, um von einer der nächsten Säulen Münchehagens zu erzählen.

 

Männer stehend um das Stollenloch

Die kommt an der Langen Straße bald in Sicht. Eine Lore steht dort am Wegrand und weist auf den Bergmannsverein des Dorfes hin, der 1903 gegründet wurde. Die Lore ist ein Relikt aus alten Zeiten, Bergbau wird nicht mehr betrieben. Die Kohle aus dem Boden hat früher aber vielen Familien nicht nur kuschelig warme Zimmer, sondern auch ein Auskommen für den Lebensunterhalt beschert. „Wenn Ihr wüsstet, wie viele Gänge direkt unter uns sind! Dann würdet Ihr nicht mehr so fest aufstampfen“, ruft Minchen aus.
Fünf Kilometer unter Tage konnten die Kumpel allein vom Maximilian-Schacht bis nach Hormannshausen bei Loccum gehen. „Obwohl ‚gehen‘ eher selten war“, wirft Minchen ein. Viele der Gänge ließen es gerade einmal zu, durch sie zu kriechen. Um dort erst einmal hinzukommen, mussten die Männer – Frauen blieb dieses Los erspart – tief einfahren. In einen Schacht nahe dem Freizeitbad kann die Seemannsgattin ihr Lot 63 Meter tief versenken. Steht einem ihrer Gäste dann staunend der Mund offen, winkt sie ab: „Das ist noch gar nichts! Hinten im Erlengrund haben sie noch 100 Meter tiefer gebuddelt.“

Frau bei der Gartenarbeit im Erlengrund

Erlengrund! Ein bisschen zu weit für Minchen und ihre Gäste, um dort fix mal hinzulaufen. Aber am Abend, empfiehlt sie ihnen, sollten sie das mal ausprobieren. Wegen des idyllischen Biergartens mit zahlreichen Lieblingsplätzen.

 





Minchen in der Kirche

Doch nicht nur Kohle trug zum Überleben des Dorfes bei, auch der Steinbruch nebenan brachte Geld in die Kasse. Nebenan? „Auf einem großen Teil des Steinbruchs steht heute der Dinopark“, erzählt Minchen. Im anderen Teil wird Sandstein abgebaut. Spannend wird es immer dann, wenn neue Saurierfährten zu Tage gefördert werden und der Dinopark öffentlich einlädt, sich an den Ausgrabungen zu beteiligen.
Was Münchehagen sonst noch ausmacht? „Die Seefahrt natürlich!“, ruft die Frau des Kapitäns. Seefahrt? Mitten auf dem platten Land? Etwa auf dem Steinhuder Meer?
Wer dann grinst, wird von Minchen eines Besseren belehrt. Heringsfischerei auf der Nordsee! Das ist – oder vielmehr war – ein Standbein. Doch das könne sie viel besser in der Kirche erzählen. Wohin sie klappernd in die Ortsmitte schreitet.
Das Schlüsselbund, das Minchen an der Kirchentür zückt, zeigt, wie eng vieles im Dorf verzahnt ist. Keine Frage: Pastor Sönke von Stemm hat die Schlüsselgewalt gerne erweitert und hat auch nicht das Geringste dagegen, dass Minchen gelegentlich die Kanzel erklimmt, um ihren Gästen von Seefahrt und Revolution zu erzählen.
Für die Seefahrt muss sie nur auf das Altarbild verweisen. Jesus in einem Boot voller zappelnder Fische auf dem See Genezareth. Dieses Motiv wählte die Gemeinde aus, weil zeitweilig zehn Prozent ihrer Bevölkerung zur See fuhren. Wirtschaftliche Not hatte die Männer aus dem Haus getrieben. Immer weiter gen Norden, wo sie begannen, sich als Seeleute zu verdingen. Heringsfängerdorf Münchehagen – der Beiname ist geblieben und mancher Münchehäger lebt immer noch in einem „Kapitänshaus“.             

 

Einfahrt der Sonderabfall-Deponie, mit dessen Schild

Dieses Image wird gepflegt im Dorf – und ein anderes ebenso. „SAD“, sagt Minchen und schaut bedeutungsvoll in die Runde. Drei Buchstaben mit denen Münchehagen jahrelang Schlagzeilen gemacht hat: Mit der Sonderabfall-Deponie nah am Dorf, die nun eigentlich beileibe nichts ist, womit sich eine Kommune brüsten kann.
Eine riesige Grube, Tonnen um Tonnen undefinierten Abfalls, die Vermutung, dass Seveso-Gift verklappt wurde. „Aber wir haben uns gewehrt, haben gestritten, jahrelang“, sagt Minchen. Der wehrhafte Streit führte dazu, dass ein nie dagewesener Prozess in Gang gesetzt wurde, an dessen vorläufigem Ende die Sicherung der SAD steht. Beispielgebend für den Umgang mit vielen anderen Deponien in Deutschland. 
Auf die Deponie haben Kommune und Anlieger gemeinsam mit einem Expertengremium weiterhin ein waches Auge – wehrhaft und streitbar, wie es sich für See-, Berg- und Bauersleute gehört. 

Minchen und Mathilde auf der Dino-Bank

„So, das war’s dann wohl“, sagt Minchen, „jetzt hab‘ ich mir den Mund fusselig geredet.“ Ein Abschied von ihren Gästen, dann schreitet sie mit Elbsegler und Mathilde zurück nach Hause. Nur ein letzter Stopp auf der Dino-Bank muss noch sein. Über allem Reden von Dinosauriern, Seefahrt und Bergbau ist die arme Mathilde nämlich zu kurz gekommen. Minchen fischt die letzten Leckerlis aus der Tasche, tätschelt die brave Hündin und nimmt noch eine Prise Sonne mit. Nur eins lässt sie noch vom Stapel: „Das mit dem Seemannsgarn, das stimmt doch nicht. Natürlich ist das alles genauso gewesen – hier bei uns in Münchehagen!“